Das Trauerspiel von Afghanistan

Theodor Fontanes Ballade

von Michael Zeller

Theodor Fontane
Das Trauerspiel von Afghanistan
 
Das Trauerspiel von Afghanistan – so heißt die Ballade, die der deutsche Dichter Theodor Fontane 1859 zum ersten Mal veröffentlicht hat, vor sage & schreibe mehr als 160 Jahren.
Worum geht es? Auch damals herrscht Krieg in dieser schroffen Hochgebirgsregion, die auf dem Atlas „Afghanistan“ genannt wird – Krieg zwischen auswärtigen Armeen und einheimischen Stämmen. Im Kampf gegen Rußland haben die Engländer einen Teil des Landes mit der Hauptstadt Kabul besetzt. Dagegen formiert sich ein Aufstand der Afghanen. Unter außerordentlich hohen Verlusten müssen die Engländer sich aus Kabul zurückziehen. Auch ihr Versuch, die Stadt Dschallalabad im Nordosten zu halten, schlägt unter schrecklichen Opfern fehl.

 
Das Trauerspiel von Afghanistan

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ - „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“

Afghanistan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all',
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie's hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!“

Da huben sie an und sie wurden's nicht müd',
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen - es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

„Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.“
 
Theodor Fontane

 
Der wievielte Versuch von vorgeschobenem nation building in Afghanistan mag das damals wohl schon gewesen sein?
Wenn die Politiker dieser Welt Gedichte läsen (statt vor allem die Tabellen ihrer Beliebtheitswerte), wenn die Politiker dieser Welt die Milliarden unserer Steuern nicht in Rüstung verpulverten, sondern in die Ausbildung der Jugend steckten - wie schön könnte dann unsere Erde aussehen.
Ach, daß dies auf ewig ein Traum bleiben muß ...  
 
Michael Zeller