Zum Nachruhm einer Foto-Pionierin

Aenne Biermann – „Up Close and Personal“

von Frank Becker

Aenne Biermann, Eggs 1931
Zum Nachruhm einer Foto-Pionierin
 
Aenne Biermann: one of the most significant European
avant-garde photographers of the 20th century
 
Aenne Biermann (1898–1933), nicht so prominent geworden wie ihre Zeitgenossen Laszlo Moholy-Nagy, André Kertesz, Friedrich Seidenstücker, Albert Renger-Patzsch oder Karl Blossfeldt, zählt jedoch unter Foto-Kennern zu den festen Größen der Fotografie der 1920er- und 1930er-Jahre. In der Ausstellung „Aenne Biermann, Vertrautheit mit den Dingen“ stellte die Münchner Pinakothek der Moderne im vergangenen Jahr mit eindrucksvollen Schwarz/Weiß-Fotografien ihr Werk, soweit erhalten, der Öffentlichkeit vor. Das Essener Museum Folkwang hatte die Ausstellung ab 21. Februar 2020 übernommen und wollte sie bis 1. Juni 2020 zeigen. Auch hier hat die Corona-Pandemie den Ausstellern und dem Publikum einen Strich durch die Rechnung gemacht. Immerhin ist der gut gemachte Katalog zur Ausstellung als Monografie nun auch in englischer und israelischer Sprache vorhanden und zeigt im Format von 23 x 30 cm mit zahlreichen ganzseitigen Abbildungen einen exemplarischen Querschnitt.
 
Die fotografische Autodidaktin trat dank ihrer außergewöhnlichen Blickwinkel sowie der Motiv- und Ausschnittwahl sehr schnell in die Riege der Avantgarde-Fotografen ein, wurde als bemerkenswerte Künstlerin der Neuen Sachlichkeit erkannt und ab 1928 mehrfach national ausgestellt. Ihre Arbeiten (ihr Archiv, das 1933 bei ihrer Ausreise nach Palästina in Triest beschlagnahmt wurde, gilt heute als verschollen) fanden den Weg in private  Sammlungen sowie die deutscher und internationaler Museen.
Anfangs auf Motive ihrer näheren Umgebung wie Porträts ihrer Kinder Helga und Gerd und von Freunden fokussiert, erweiterte sie bald ihren Blick auf Gegenstände und Situationen des Alltags und Haushalts, auf scheinbar zufällige Begegnungen und willkürlich wirkende Bildausschnitte, die jedoch sorgfältig komponiert waren. Ihr heimisches Klavier, Stilleben mit Obst auf dem Tisch, verwelkende Blumen, Lippen, Hände dann Akte im Ausschnitt mit starken Lichtkontrasten und das Ei in Variationen - in der Pfanne (1929), auf dem Tisch (1931), im Netz (1931) – Natur, Landschaft und immer wieder auch Kinder in ihrem täglichen Leben zeigen ein weites Spektrum. Sie experimentierte mit Mehrfachbelichtungen, Collagen und Spiegelungen, und für den Geologen Rudolf Hundt fertigte sie im Auftrag 1928/29 detailgenaue Fotos der von ihm gesammelten Mineralien an.
 
Es folgten Pflanzen-Aufnahmen, die große Nähe zu Karl Blossfeldt zeigen sowie von André Kertesz inspirierte Detail-Arrangements (Würfelbecher, Eier) und immer wieder surrealistische Überblendungen mit deutlichem Einfluß Man Rays, denkt man an das Porträt mit dem Pariser Boulevard de la Grande-Armée oder „Vorgemerkt“ (beide 1931). Ahnte Aenne Biermann da schon ihren frühen Tod nur zwei Jahre später?
Zwar entwickelte Aenne Biermann deutlich ihr eigenes vielseitiges Bild-Denken, ihre wie sie 1930 schrieb, „Vertrautheit mit den Dingen“, doch sind die vielfältigen Einflüsse unübersehbar. Aber es ist ja, wie oben erwähnt, nur ein Teil ihres Gesamtwerks erhalten geblieben. 
 
Sehen Sie → → → hier einige Bildbeispiele.
 
Aenne Biermann (1898–1933) was one of the leading figures of photography in the 1920s and 1930s. Today, she is considered one of the most important avant-garde photographers of the twentieth century. In just a few years of practice, the self-taught artist became a well-known representative of German photography, participating in almost all the important exhibitions of her time. She captured plants, objects, people, and everyday situations in pictures that have to this day lost none of their allure and poignancy. By means of clear structures, precise compositions of light and contrast, as well as narrow framing, she drew a special kind of poetry out of the motifs of her personal environment and developed her own, distinctly modern pictorial style.
This is the first substantial new book in English on this exceptional artist since the 1930s, published to coincide with a major exhibition at the Tel Aviv Museum of Art in fall 2021. The large-format volume features some 100 of Aenne Biermann’s photographs in color and duotone reproduction, several of them published here for the first time ever. This impressive selection is complemented by essays on Biermann’s photography in art-historical context and on selected aspects of her oeuvre.
 
Raz Samira is curator of photography at the Tel Aviv Museum of Art.
Simone Förster is curator of Ann and Jürgen Wilde Foundation, Pinakothek der Moderne, in Munich.
Bernhard Maaz is Director of the Bavarian State Art Collections in Munich.
 
Aenne Biermann – „Up Close and Personal“
Aenne Biermann: one of the most significant European avant-garde photographers of the 20th century
 © 2021 Scheidegger & Spiess, In cooperation with Tel Aviv Museum of Art, 1st edition
148 pages, Paperback, 23 x 30 cm, 123 color and duotone illustrations, Text in English and Hebrew - ISBN 978-3-85881-882-9
Edited by Raz Samira. Contributions by Simone Förster, Bernhard Maaz, Raz Samira, Edna Goldacki Biermann and Ornan Rotem
48,- € | 49,- sFr
 
Weitere Informationen: www.scheidegger-spiess.ch