Über die Kunst einen Punkt zu setzen

von Erwin Grosche

Na ja gut, nicht ganz die Farben, aber zur Anschauung... - Foto © Michael Schwarzenberger / pixabay

Über die Kunst einen Punkt zu setzen
 
Der Wolkenhimmel im August läßt mich immer schweigsam werden. Wie kann nur etwas so gewaltig über uns schweben, ohne auf uns zu fallen? Und wie das Gewölbe leuchten kann und unseren Blick für das Unendliche schult. Ich denke dabei oft an die Bilder von Dietlinde Fricke, die um 1990 herum im Raum für Kunst gearbeitet hat und dem Firmament manche ihrer Visionen abrang. Manchmal dachte ich sogar, daß der Himmel ihre Werke kopierte und es nicht umgekehrt war. Ist das, was uns umgibt nicht Gestaltung und Kunst? Bringt Gott es auf den Punkt? Inspiriert der Winter Wilfried Hagebölling und der Frühling schenkt seine Farben Herman Reichold? Ich weiß, daß Gennadi Isaak eher in den vier Jahreszeiten zu Haue ist, als in Sande, und Werner Schlegel ist selbst eine Eiche, die auch beim Herumstehen arbeitet. Ich hatte jetzt die Gartenverschönerer von Guido Richter zu Besuch. Die Wege waren bemoost und allerlei Unkraut störte die Abgrenzungen der Fugen. Die Fachleute mußten dazu meine vier Mülleimer zur Seite schieben, um darunter klar Schiff machen zu können. Ich hatte bisher meine Mülleimer immer nach Wichtigkeit geordnet. Die grüne Tonne stand vorne, daneben folgte die schwarze Tonne, und dann entdeckte man die gelbe und die blaue Tonne. Nachdem die Gärtner die Bodenplatten gereinigt hatten, schob einer danach die Tonnen in einer ganz anderen Reihenfolge zurück an die Wand. Er ging dabei nach rein farblichen Kriterien vor. So sah ich an erster Stelle die gelbe Tonne, dann die grüne und die blaue Tonne und zum Schluß tauchte die schwarze Tonne auf. Gelb, grün, blau, schwarz. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Ich gebe zu, daß mich die Aufreihung, rein ausgewählt nach Farben, gleich überzeugt hat und hinter meinem Gestaltungswillen einen annehmbaren Schlußpunkt setzte. Uns einen neuen Blick auf die Welt zu schenken, ist es nicht das, was die Kunst uns ermöglichen soll? Zum Glück mußte ich später nur für die Gartengestaltung bezahlen und nicht für die Neuausrichtung meiner Mülltonnenkarawane. Ich hatte mal an einer Zimmerdecke Wasserflecken entdeckt, die auf eine undichte Stelle im Badezimmer hinwiesen. Zum Glück kam schnell einer von Schombergs besten Männern vorbei und fand nicht nur das Leck, sondern sah sich auch die Wasserflecken an. Geschult umkreiste er die braunen Auffälligkeiten mit einem Bleistift, umpunktete die Wolkenformen und schuf dadurch ein kleines Fresko an meiner Zimmerdecke. „Das müssen wir beobachten“, sagte er und signierte das Werk mit Datum und Namen. Nun stehe ich oft da, beobachte die Deckenmalerei und zähle die Punkte. Manchmal sehe ich dort eine Tagung von Theologiestudenten, manchmal auch das Auftauchen der apokalyptischen Reiter. Einmal traf ich eine Frau mit ganz vielen Sommersprossen, die lud ich sofort zum Kaffee ein. Wie. Schön. Die Welt. Sein. Kann. Wenn. Man. Sich. Öffnet. Und. Sie. Einfach. Punkt für Punkt. Beobachtet. Steht hinter jedem Wort ein Punkt, macht das Hirn viele Pausen und man staunt.
 
Erklärungen für Nichtpaderborner:
 
Dietlinde Fricke – Paderborner Künstlerin, die auch Mitglied der Ateliergemeinschaft „Raum für Kunst“ war.
Schomberg - Installationsfirma aus Paderborn
Herman Reichold – populärer Künstler aus Paderborn
Wilfried Hagebölling – Der bedeutendste Künstler aus Paderborn
Guido Richter – Gartenbaufirma aus Paderborn
Werner Schlegel – Künstler aus der Nähe von Paderborn
Gennadi Isaak – Künstler und Buchgestalter aus Sande, der auch Erwin Grosches Weltlexikon Leben einhauchte