Eine gedankliche Vorgabe

„Free Guy“ von Shawn Levy

von Renate Wagner

Free Guy
USA 2021

Regie: Shawn Levy
Mit: Ryan Reynolds, Jodie Comer, Joe Keery, Lil Rel Howery u.a.
 
Es hat mit dem „Zauberlehrling“ zu tun, mit den Geistern, die wir riefen und die unserer Kontrolle entgleiten. Gewissermaßen hat vor einiger Zeit auch Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“ eine grundlegend ähnliche Geschichte erzählt. Ein humanoider Roboter entwickelt „menschliche“ Gefühle. So wie Guy, der als Bankbeamter in „Free City“ lebt und das täglich gleiche Schicksal erleidet.
Bloß ist Guy eine Figur in einem Computerspiel, und zwar eine jener, die am Rand als „Füllsel“ herumsteht, Fachausdruck: NPC – eine Figur, die von keinem Spieler geführt wird. Kein Held, kein Schicksal, kein Nichts. Wie die Durchschnittsmenschen im Leben…
Macht das den Film „Free Guy“ von Shawn Levy auch zu einem politischen Gleichnis? Bestimmt, wenn man es so sehen will. Auf vorderster Ebene ist es allerdings ein Film über ein Videospiel, über dessen menschliche „Macher“ und über die Ideologie, die hinter dieser ganzen Welt steckt.
 
Zuerst befindet man sich im Video-Spiel selbst, eine doppelte Herausforderung für das „normale“ Kino: diese Welt so nachzuahmen, daß die Darsteller (Echtmenschen) wie die sehr echt wirkenden und doch künstlichen, gelackten Figuren der Spiele erscheinen; und die verrückte, computergenerierte Action dieser Spiele auf der großen Leinwand explodieren zu lassen. Beides gelingt Shawn Levy, der bisher alles Mögliche (darunter die „Nachts im Museum“-Komödien), aber nichts wirklich Bemerkenswertes gemacht hat, hervorragend.
Neben dieser äußeren Folie entwickelt sich die „Nicht-Geschichte“ von Guy, der täglich sein gesichtslos-uniformes „Blue Shirt“ anzieht und täglich in der Bank, in der er angestellt ist, einen Überfall über sich ergehen lassen muß (damit die menschlichen Spieler vor ihren Computern mit den Heldenfiguren „spielen“ können) und täglich vermutlich dasselbe zu seinem drolligen PoC- Wachpersonal-Kollegen Buddy  sagt (Lil Rel Howery muß leider das Klischee bedienen, wie sich schwarze Schauspieler als Komiker vor der Kamera aufführen). Und dann, damit beginnt es, sieht Guy eines Tages nicht mehr ein, warum er nicht auch einmal mitspielen darf. Läuft einer attraktiven Frau (Jodie Comer, hier als Molotov Girl) nach und aus seinen vorgegebenen Bahnen heraus – und bringt demgemäß alles durcheinander…
 
Worauf man zu den Menschen hinter ihren Bildschirmen gerät (Echtmenschen), die dieses Spiel programmieren. Eigentlich hat Programmiererin Millie (Jodie Comer, die als Figur dann auch im Computerspiel vorkommt, in das ihr verliebter Freund sie hineingesetzt hat) „Free City“ erfunden. Man hat es ihr gestohlen, ihr einstiger Mitarbeiter und Kollege Keys (Joe Keery) hat ein entsprechend schlechtes Gewissen, weil er es nicht verhindern konnte. Aber er arbeitet doch mit seinem (komischen) indischen Mitstreiter (Utkarsh Ambudkar) für den skrupellosen Antwan (herrlich skurril, affektiert und witzig:Taika Waitit).
Und es passiert, was die Vorgabe des Films ist – das Spiel wird stärker als die Menschen, die es erfunden haben – vielleicht auch, weil Guy als Persönlichkeit die Banalität seiner Nicht-Existenz besiegt. Dabei ist Ryan Reynolds mit seinem glatten, hübschen, nichtssagendem Gesicht an sich die Idealbesetzung für eine solche Figur – seinen Kampf um seine individuelle Existenz glaubt man ihm schon weniger.
Das Ende bedeutet die Befreiung der Nobodys aus ihrem Schicksal, es „menschelt“ gewaltig, die Aussage wird ein bißchen dick, aber die Botschaft ist ein unabdingbarer Teil des Ganzen, das im übrigen ein logistisches Meisterstück darstellt.
Außerdem; Daß der Mensch einmal ein Gefangener in den von ihn konstruierten künstlichen Welten sein könnte, besiegt von den Geschöpfen, die er geschaffen hat – das ist eine gedankliche Vorgabe, die vielleicht, vermutlich einmal Realität sein wird. Daß sie in ein grellbuntes Spektakel verpackt ist, das den „künstlichen“ Computerspiel-Charakter perfekt auf die Kinoleinwand überträgt, macht die Sache nicht weniger bemerkenswert.
 
 
Renate Wagner