Vor 430 Jahren zu Pferd durch Mitteleuropa

Michel de Montaigne - "Tagebuch einer Reise nach Italien"

von Frank Becker
Eine abenteuerliche Bäderreise

Am 5. September 1580, nachdem er König Heinrich III. in Paris seine Aufwartung gemacht und an der Belagerung von La Fère teilgenommen hatte, begab sich Michel Eyquem de Montaigne (1533-1592), Verfasser der "Essais", auf eine Reise, die ihn zu Pferd bis zum 30. November 1581 durch Frankreich, die Schweiz, Deutschland/Österreich und Italien wieder zurück nach Montaigne bei Bordeaux führen sollte. Durch sein erst 1770 entdecktes Reisetagebuch, das 2005 von Ulrich Bossier neu übersetzt wurde, bekommen wir äußerst interessante Einblicke in das Leben der einfachen Leute wie auch das bei Hofe. 

Der Humanist und Jurist Montaigne, der bei Reiseantritt bereits zwei
Bände seiner klugen  "Essais" fertiggestellt hatte, laborierte an einem unangenehmen Nieren- und Blasenleiden, für das er sich durch das Trinken aus heilkräftigen italienischen Quellen und durch Bäder Linderung erhoffte. Er wurde es nicht los, doch die Protokollierung seiner Kuren und die Beschreibung seines Krankheitsbildes sind neben den Reiseeindrücken durchaus auch interessant. Der Liebe zum Detail, mit der Montaigne auf der Reise durch verschiedene Landschaften und Nationen die Städte, Staaten und bereisten Landstriche beschreibt, mit der er ihre Kleidung, Tischsitten, Speisen, Getränke, Meldevorschriften, Kunst und Kultur, Architektur, Volks- und religiöse Bräuche notiert hat, verdanken wir intimste Einblicke in die Kultur dieser Zeit vor beinahe 430 Jahren.

Die unkomplizierte Sprache, derer sich Autor und Übersetzer bedienen, macht aus den Reiseaufzeichnungen ein kurzweiliges Lesevergnügen, das dem der "Essais" in keiner Weise nachsteht. Basel und
Konstanz, Augsburg und München, Innsbruck und Bozen, schließlich Verona, Vicenza, Venedig, Florenz und Siena, Rom, Lucca, Piacenza und Mailand sind nur einige der Stationen, die Michel de Montaigne besucht oder auch nur gestreift hat. Selten verweilt er irgendwo länger als einen Tag, denn das Hauptziel ist Rom. Venedig ist ihm ein paar Tage wert, in Rom schließlich bleibt er 4½ Monate. Dort macht er Papst Gregor XIII. seine Aufwartung, stürzt sich in ein umfangreiches Programm mit Besichtigungen, Messen, Tanzvergnügen, Theater, Bällen und vielem anderen mehr. Er besucht Bäder und Huren, Fürsten und Diplomaten, wohnt einer Beschneidung bei, die er genauestens beschreibt, und läßt sich auch nicht nehmen einer Hinrichtung und einer Teufelsaustreibung beizuwohnen.

Seine Bäderbesuche setzt "Herr de Montaigne", wie er sich selber immer wieder gerne nennt, auch bei der Weiterreise fort. Norditalien hat einiges zu bieten: in Lucca bleibt er sechs Wochen, vier in Della Villa, Florenz und Pisa reizen ihn, er erlebt eine wüste Schlägerei zwischen Priestern und Ordensbrüdern und berichtet von türkischen Piraten, die nahe Pisa gelandet sind, bevor er nach Rom zurückkehrt, wo ihn seine Berufung zum Bürgermeisteramt in Bordeaux erreicht. Am 15. Oktober 1581 bricht er zur Heimreise auf, die er in Eiletappen, nur unterbrochen von einer Woche in Lyon, am 30. November auf Schloß Montaigne, dem Sitz seiner Familie beendet.
Ähnlich dem knapp einhundertachtzig Jahre später geführten Reisejournal James Boswells sind Montaignes Aufzeichnungen von unschätzbarem Wert. Das Buch liest man nicht nur, man reist mit und wird auch immer wieder danach greifen, um "nach" -zulesen.
 
Beispielbild

Michel de Montaigne
Tagebuch einer Reise nach Italien

© 2008 detebe 23675

423 Seiten, Broschur, 11,90 €

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