Die Kunst des Scheinens

Mack – Skulpturen 2003-2020. Werkverzeichnis

von Johannes Vesper

„Die Kunst des Scheinens“
 
Heinz Mack – Skulpturen
Werkverzeichnis 2003-2020
 
Unter der Überschrift „Die Kunst des Scheinens“ macht sich Beat Wyss im Werkverzeichnis Gedanken darüber, was ein künstlerisches Werk eigentlich ausmacht. Begonnen hatte der deutsche Künstler und Bildhauer Heinz Mack, geb. 1931, mit spektakulären Aktionen, als er 1957 zusammen mit Otto Piene, später mit Günter Uecker, die Gruppe ZERO bildete. Mit Happening versuchte die Gruppe gegen die damals Etablierten (z.B. Emil Nolde, Werner Haftmann) bzw. gegen den immer noch nationalsozialistisch verseuchten Kunstbetrieb einen Neubeginn. „Ich fühle mich als Bildhauer“ sagte er. Dabei war die Bildhauerei des Historismus mit Denkmälern von Dichtern und Generälen schon lange vorbei und die des Menschen (z.B. Arno Breker) ebenfalls. Skulptur als Abbildung von irgendetwas ist Macks Thema jedenfalls nicht. Er wollte den Neubeginn der Bildhauerei mit „Schönheit, Licht und Skulptur“. Der Wirkung von Licht spürte er nach, in dem er in einer spektakulären Aktion eine Skulptur dem gleißenden Sonnenlicht in der Sahara aussetzte. Überhaupt beschäftigte ihn das Verhältnis zwischen Licht und Farbe. 2015 gab es zu diesem Thema eine eigene Ausstellung („Das Licht meiner Farben“, Ulmer Museum). Bedeutung und Akzeptanz der Farbenlehre J.W. Goethes, der bekanntlich noch im Tode „mehr Licht“ verlangte“, werden im Essay untersucht. Was das Licht eigentlich ist, ob Welle oder Teilchen, darüber zerbrechen sich die Naturwissenschaftler seit langem den Kopf. Wahrheit und Klarheit über die Natur des Lichtes können sie gleichzeitig nicht liefern. Aber über die die Wirkung des Lichtes dachten damals die Künstler nach. Fontana, Yves Klein, Manzoni, Christo, Tinguely u. suchten Kontakt zueinander und zur Gruppe ZERO. Sie überschritten nationale Grenzen und nahmen auf künstlerischer Ebene das Projekt Europa auf, das sagte Heinz Mack jedenfalls im Interview mit Victoria Trunova (http://talkingaboutart.de/uber-licht-und-grenzen-ein-interview-mit-heinz-mack/).

Er ließ sich aber auf die Geschehnisse der Gruppe ZERO nie festlegen, entwickelte zunehmend eigene Vorstellungen. „Man ist Einzelgänger als Künstler. Man muß letztendlich seinen Weg ganz allein gehen“ stellte er für sich fest. Seine Skulpturen seien von ihrer Oberfläche her zu verstehen, auf die Licht fällt und sich bricht. Er sieht sich damit im Gefolge Rodins wie auch alter Steinmetze der Romanik, von denen er Wiligelmo da Modena (Beginn des.12. Jahrhunderts) und Benedetto Antelami (um 1200) namentlich nennt. Mit seinen Stelen steht er formal in uralter Tradition. „Stelen sind seit der Steinzeit Thema in der bildenden Kunst“ sagte Tony Cragg bei der Eröffnung der aktuellen Ausstellung im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden. Tatsächlich waren Obelisken schon bei den alten Ägyptern modern, während die Stelen von Axum in Äthiopien erst seit dem 1. Jahrhundert nach Chr. dort stehen, wenn sie nicht umgefallen sind. Heinz Mack versteht die bildende Kunst als Handwerk, in Kenntnis seiner Werke möchte man sagen, eher als produzierendes Handwerk. Seine Steinskulpturen werden mit großen Sägemaschinen aus den Blöcken von Carrara geschnitten und im der Skulpturenwerkstatt (Abb. S. 248) nach den Entwürfen des Meisters maschinell weiterbearbeitet, bevor er selbst mit Hammer und Meißel Punzierung und Aufrauhung der Oberfläche vornimmt. Etliche Fotos im Band zeigen ihn bei der Arbeit in der Werkstatt, im Steinbruch in 1600 m Höhe, posierend vor seinen Skulpturen, für deren Produktion er natürlich auf helfende Hände angewiesen ist. Der Unterschied zwischen Skulptur und Plastik verwischt in seinem Werk, da neben tatsächlich bildhauerisch entstandenen Marmor- oder auch Holzskulpturen auch Plastiken aus Holz, Stahl Acrylglas, mit oder ohne Applikation von Spiegeln, Strahlern oder Fresnellinsen gebaut wurden Beim Durchblättern des Werkverzeichnisses, bei der Betrachtung der Kunst Heinz Macks bzw. bei Lesen des Inhaltsverzeichnisses fallen verschiedene Werkgruppen ins Auge.
 

Stelen-Ensemble mit dem Bildhauer Heinz Mack, Archiv Heinz Mack, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2021

Die bis zu 4 m hohen Brettstelen weisen oft einen gezackten Rand auf, erinnern gelegentlich aber auch an ein Surfbrett. „Sie sind aber lange vor dem ersten Surfbrett entstanden“ bemerkt der Künstler zu dieser Assoziation. Meine erste Skulptur ist aus einem Brett entstanden, welches ich auf einer Straßenbaustelle organisieren konnte“. Immer wieder lassen Durchbrechungen auch den Blick passieren. Gelegentlich werden Brettchen in den zentralen Kern der Stele gesteckt, wohl zu formaler Verstärkung gezackter Konturumrisse. Das erinnert an offene Bücher- oder CD-Regalstelen (Werknummer 1589). Oder die gezackten Bohlen stehen unmittelbar nebeneinander bzw. im rechten Winkel zueinander (1730, 1750). Kleiner und einfacher sind kompakte Holzskulpturen wie z.B. die „Begegnung dreier Keile“ (1758) oder die „Elementare Skulptur (1790), hoch komplex dagegen „Africa on My Mind“ (1856), eine Replik aus dem Jahre 2019 der zerstörten Originalskulptur von 1954. Manche Skulpturen scheinen „einen Winterschlaf von einem halben Jahrhundert hinter sich zu haben“ bemerkte der Künstler.  
 
Die Lichtskulpturen Heinz Macks werden aus Aluminium, Stahl, Edelstahl, Glas, aus gelochten Edelstahlblechen, aus Edelstahl- oder Aluminiumgeweben, teilweise auch in Kombination mit Marmor erstellt. „The Three Graces“ (1557) entstand als Model schon 1970 und wurde erst 2010 fertiggestellt. Die Skulptur besteht aus einer Marmorstele zwischen 2 spiegelblanken Edelstahlstelen. Die Fülle seiner formalen Ideen kann hier nicht wiedergegeben werden. Jedenfalls wird phantasievoll mit Licht gespielt (Reflektor-Stele (1618), Transparente Stele (1555, 1556), Silberlichtstele (1562)). Von den Titeln her ergeben sich transzendentale und philosophische Assoziationen („Altar des Himmels“ 1873; oder „Hommage a Pythagoras“: ein Dreieck aus glänzend spiegelndem Edelstahl (259x300x20cm) (1765). Formal ergeben sich durchaus auch zeitgenössische Assoziationen, erinnert doch die „Kinetische Flügelskulptur schlank (1576)“ mit ihrem gelöcherten Blechen an einen großen Gasbrenner, (wie auch Skulptur Nr. 1927 aus Aluminium, Edelstahl, und elektrischem Zubehör). Auch die Stelen aus Marmor, Granit oder anderem Stein, getreppt, gezackt, schräg, lassen Assoziationen heutiger skulpturaler Formen zu: wie z.B. Heizkörper, oder auch Stelen, wie sie im Garten zur Ab- oder Begrenzung von Beeten genutzt werden. Beim „Geist des Speerwerfers“ liegt ein ca. 5m langer, angespitzter Cortenstahl-Speer mit einem Durchmesser von 28 cm statisch schräg auf einem Findling (1794). Der skeptische Betrachter wird hier den für einen Speerwurf nötigen Schwung vermissen. Gezackt perforierte Steinscheiben mit gekerbten Rändern, ein Marmorzahnrad (Skulptur in radialer Bewegung 1643), das Sternenmädchen (stilisierte Marmortannenbaum mit Halbkreiskopf( 1641a), bzw. das Negativ dieser aus einer Marmorplatte gesägten Figur („Ohne Titel“ 1642) oder auch der schwarze Stern ( 1640) zeigen der Welt „neue phantasievolle Formen ohne industrielle Materialnutzung“. Eleganz und Schwung bieten die schmalen bewegten Reifen der Skulptur „Dancing Line“ (1659).
Unter Ars urbana werden Skulpturen gezeigt, die im öffentlichen Raum stehen (z. B. die kinetische Flügelsäule (1940) aus Edelstahl vor dem Museum der Stadt Poznan (Polen), die mit Hilfe eines Motors gedreht wird). Der „Große Vertikale Rhythmus“ (1943), das 17 m hohe Stadtzeichen der Stadt Langenfeld, wird nachts angestrahlt. Farbe kommt ins Spiel nicht nur bei der 9 m grün-blauen „Säule für Wasser und Licht“ vor der der Stadtsparkasse Hagen.
 
 
Blick in den Skulpturengarten des Künstlers, Archiv Heinz Mack, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2021

Für den goldenen Skulpturen bleiben die formalen Charakteristika (gezackte Stelen und Blöcke) prinzipiell erhalten. Die goldenen „Neun Pfeiler für den Himmel“ (jeder 7,50 m hoch, 1,25x1,25 m Querschnitt), bedeckt mit mehr als 850.000 vergoldeten Mosaiksteinen, waren von 2014-2017 jeweils für einige Monate aufgebaut auf der Isola St. Giorgo Maggiore (Venedig), vor dem Sakip Sabanci Museum Istanbul, am Ufer des St. Moritzersees in St. Moritz und vor der Kulisse der grandiosen Architektur Valencias. Daß Beat Wyss in seinem Essay Helmut Mack „hellstrahlende, unzeitgemäße Schönheit“, zuschreibt, leuchtet ein. Von der Aufstellung dieses Werkes als Modell vor dem Pergamonmuseum zu Berlin ist leider nur ein Foto zu sehen. Bei diesem Werk handelt es sich zweifellos um den Höhepunkt seines Schaffens. Mit dem Aufbau dieser erhabenen Großskulptur an verschiedenen Orten kehrt der Künstler ein bißchen zu seinen Anfängen zurück. Kunst als zeitweises eindrucksvolles Geschehnis im Freien, in der Sahara, nicht im Museum: damit hatte er vor mehr als 60 Jahren begonnen. Von seinen vergänglichen Aktionen bleiben immerhin Fotos und Bilder im Kopf. Beat Wyss glaubt am Ende seines lesenswerten Essays, daß „vom Aufschein des Schönen nur das nackte Reden darüber“ bleibt. Tatsächlich?
 
Im Werkverzeichnis sind all seine 2003-2020 entstandenen Werke sind in bei diesem Verlag üblich hoher Druckqualität abgebildet und im Anhang gelistet. Die Nummerierung der Werke aus der Zeit von 2003 bis 2020 beginnt bei 1538, endet bei 1884 und zeigt seine ungebremste Produktivität. Außerdem finden sich im Anhang eine Kurzbiographie des Künstlers und eine Liste seiner Ausstellungen von 1957 bis 2021. Als letzte ist die aktuelle Ausstellung im Skulpturempark Waldfrieden Wuppertal auf geführt, in der auch ältere Werke zu sehen sind. Dem Verzeichnis „Heinz Mack in öffentlichen Sammlungen“ ist zu entnehmen, daß seine Werke in den großen Sammlungen der Welt zahlreich anzutreffen sind.
 

Ohne Titel, 2013, Archiv Heinz Mack, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2021

Mack – Skulpturen 2003-2020. Werkverzeichnis - Catalogue raisonné.
Herausgegeben von Beat Wyss. Konzeption: Heinz Mack. Redaktion Maria Valeria Mack, Sophia Sotke. © 2021 Hirmer Verlag GmbH München, 464 Seiten, gebunden - ISBN 978-3-77774-3659-3
68,- €

Weitere Informationen: www.hirmerverlag.de