Als die DDR am 13. August 1961 ihre Bürger einmauerte

Cold War Memories - 60th Anniversary Of The Berlin Wall

von Frank Becker

Das russische Roulette
 
Als die DDR am 13. August 1961 ihre Bürger einmauerte
 
Der 13. August 1961 ist wie der 17. Juni 1953 allen Berlinern die damals gelebt haben, als Tag des Schmerzes und der Trauer ins Gedächtnis gebrannt. Nachdem acht Jahre zuvor russische Panzer den zivilen Aufstand in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands niedergewalzt hatten, mauerte nun der Vasallenstaat DDR seine unzufriedenen Bürger ein. Beide Daten sind Tage der Schande. Die Mächtigen der DDR, nichts anderes als Marionetten der Sowjetunion, fragten damals nicht, wieso Millionen ihrer Bürger das Land in Richtung des freien Westens verließen. Anstatt die Gründe zu erforschen und durch Änderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Zufriedenheit im Land zu erreichen, wurden Mauern errichtet, Stacheldrahtverhaue, Minengürtel, Selbstschußanlagen und Todesstreifen um den hochtrabend als „demokratische Republik“ bezeichneten Staat von Russlands Gnaden gezogen, wurde ein ganzes Volk eingesperrt. Auch die Befestigung der insgesamt 1378 km langen deutsch-deutschen Grenze wurde unter dem Vorwand, sich vor Aggression aus dem Westen zu schützen, von da an mit den perfidesten gegen die eigene Bevölkerung gerichteten Todesfallen ausgebaut. Und in Berlin standen sich an der Sektorengrenze sowjetische und westalliierte Panzer schußbereit gegenüber. Die Russen siegten in diesem gewagten Roulette.

Es ist jetzt 60 Jahre her, daß Ostberliner Bautrupps unter scharfer Bewachung durch Armee, Volkspolizei und bewaffnete Betriebskampfgruppen damit begannen, vor den Augen der fassungslosen Bevölkerung und der entsetzten Welt mitten in der geteilten deutschen Hauptstadt entlang der Grenze zwischen den drei Westsektoren und dem russischen Ostsektor Straßen aufzureißen, Stacheldraht auszurollen und eine Mauer zu bauen. In Häusern, die auf der Grenze standen, wurden Türen und Fenster, die nach Westen zeigten zugemauert, die Bewohner im reinsten Wortsinn eingemauert oder aus ihren Wohnungen vertieben. Familien wurden brutal zerrissen. Dramatische historische Filmaufnahmen zeigen verzweifelte Menschen, die versuchen in letzter Sekunde, aus Fenstern abgeseilt und springend oder sich durch Stacheldraht kämpfend die Freiheit zu erreichen. Um die Welt ging das Foto des NVA-Soldaten Conrad Schumann, der, als Bewacher eingesetzt, sein Gewehr wegwerfend mit einem gewagten Sprung den Stacheldraht überwand.


Knapp zwei Monate zuvor hatte der Staatsratsvorsitzende der DDR, Walter Ulbricht bei einer Pressekonferenz voller Überheblichkeit und Hohn die internationale Presse mit der historischen Lüge beschieden: „Ich verstehe Ihre Frage so, daß es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, daß wir die Bauarbeiter der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, daß eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten.“ → O-Ton!
Die von langer Hand vorbereitete Wahrheit, der tatsächliche Mauerbau, schockierte die Welt. Bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 haben mindestens 140 Menschen allein an der Berliner Mauer ihr Leben bei Fluchtversuchen verloren. Genaue Zahlen wurden nie ermittelt. Die Bilder des 1962 im Todesstreifen mitten in Berlin hilflos verbluteten 18jährigen Peter Fechter erschüttern bis heute. An der deutsch-deutschen Grenze sind vorsichtigen Dokumentationen zufolge mindestens 800 weitere Menschen durch Sprengfallen, Minen, Selbstschußanlagen und die Grenzorgane der DDR zu Tode gekommen.
 
Produzent Marc Mittelacher hat für das Label Bear Family Records eine CD mit zeitgenössischen Tondokumenten, Nachrichtenkommentaren und Musikaufnahmen zusammengestellt, die den damaligen Blick des Westens, vor allem Amerikas auf den Mauerbau und seine Folgen zeigen. Er hat vorwiegend amerikanische aber auch englische und deutsche Aufnahmen zum Thema zusammengetragen, untermauert durch historische Tondokumente, die sich aus Radio-Mitschnitten, Wochenschau-Tonspuren, John F. Kennedys CONELRAD-Erklärung und dem berühmt gewordenen Zitat aus einer Pressekonferenz zusammensetzen, in dem Walter Ulbricht seine dreiste Lüge aussprach: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Eine Reihe von Ausschnitten aus 1961er AFN-Sendungen (American Forces Network) aus Berlin dokumentieren ihrerseits das Gefühl jener Zeit und geben Einblicke in die auch propagandistische Funktion des Senders.
Neben bekannten Songs und Interpreten liefert das CD-Album einige Raritäten und auch ein paar deutschsprachige Aufnahmen. Tondokumente verdeutlichen die Rolle und Funktion von AFN, dem US-Militärsender in Deutschland, während des Kalten Krieges.


Musikalisch geht es bis ins Jahr 1949 zurück, als beide deutschen Staaten gegründet wurden - hier dokumentiert durch die erste Aufnahme der DDR-Nationalhymne. Die schöne Melodie mag „Ostalgie“-Gefühle hervorrufen, ist hier jedoch als Mahnmal der Ereignisse gedacht. 
Die zur selben Zeit stattfindende Kommunistenhatz in den USA wird durch Songs von Little Jimmy Dickens, The Kavaliers und Lulu Belle & Scotty untermauert. Bo Diddley wendet sich direkt an 'Mr. Khrushchev'. 1961 war Rock 'n' Roll nach wie vor „in'“, was 'Rockin' Behind The Iron Curtain' beweist. Toni Fisher trifft mit 'West Of The Wall' den Nagel auf den Kopf. 
Themen des Kalten Krieges werden aufgegriffen: Spionage, befürchtete Atomraketen-Angriffe der Russen, der drohende Dritte Weltkrieg, der gerade im Oktober 1962 durch John F. Kennedys Diplomatie der Härte und des Einlenkens abgewendet wurde.
 
Das hervorragend gemachte 36-seitige Booklet - leider nur in in englischer Sprache, hier wäre ein deutscher Text unbedingt angemessen gewesen - enthält viele beeindruckende Fotos u.a. aus dem Allierten-Museum Berlin und aus privaten Quellen.   
 
Cold War Memories - 60th Anniversary Of The Berlin Wall
© 2021 Bear Family Records (CD)
 
01. AFN Radio Intro / Frolic At Five (November 17, 1961) - 02. They Locked God Outside The Iron Curtain / Little Jimmy Dickens - 03. Radio Excerpt – Construction Of The Berlin Wall, August 1961 - 04. Berlin Top Ten / Dickie Goodman - 05. Ich hab' noch einen Koffer in Berlin / Marlene Dietrich - 06. Excerpt from U.S. Newsreel – Russians restrict passage of Amercians to East Berlin / Various - 07. Russian Bandstand / Spencer & Spencer - 08. Na Zdrowje / Hazy Osterwald Sextet - 09. Berlin Melody / Kurt Edelhagen & His Orchestra / / 10. Brandenburg Gate / Dave Brubeck Quartet - 11. Fallout Shelter / Peter Scott Peters - 12. JFK Endorses CORNELRAD / John F. Kennedy - 13. Russia, Russia (Lay That Misile Down) / Prescott Reed - 14. Movie Trailer – Rocket Attack U.S.A. / Various - 15. Rocket Racket / Dickie Harrell - 16. Russian Roulette / Lester Lanin & His Orchestra - 17. I'm No Communist / Lulu Belle & Scotty - 18. Get That Communist Joe / The Kavaliers - 19. Russian Lullaby / Vido Musso & His Orchestra - 20. Agnes (The Teenage Russian Spy) / The Dellwoods a.k.a. The Sweet Sick-Teens - 21. The Spy / The Original Checkmates - 22. Dance Legless, Russian / The Moontrekkers - 23. Excerpts from U.S. Newsreel / East Berliners Jump To Freedom And Cross The Berlin Wall To Escape - 24. West Of The Wall / Toni Fisher - 25. Koko-Mamey / Moe Koffman Quartet - 26. Russian Roulette / The Zanies - 27. Excerpts from AFN Radio Berlin (November 17, 1961) - 28. Mr. Krushchev / Bo Diddley - 29. Watch World War III (On Pay TV) / The Crown City Four - 30. Mission To Moscow / Benny Goodman Orchestra - 31. Rockin' Behind The Iron Curtain (single version) / Bobby Marchan & The Clowns - 32. Auferstanden aus Ruinen (The Original National Anthemof the GDR) / Solistenvereinigung des Deutschlandsenders, Helmut Koch & das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin - 33. Walter Ulbricht - Excerpt from press conference, East Berlin, June 15, 1961 („Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten“) - 34. AFN Radio Berlin / Closing (November 17, 1961)
Gesamtzeit: 1:17:27
 
Die Fotografien wurden dem Booklet entnommen.

Weitere Informationen: www.bear-family.com