Ein Märchenland später Liebe

„Gaza mon amour“ von Arab Nasser und Tarzan Nasser

von Renate Wagner

Gaza mon amour

Autonomiegebiet Palästina 2020

Drehbuch und Regie: Arab Nasser, Tarzan Nasser
Mit: Salim Daw, Hiam Abbass, Manal Awad u.a.
 
Motivationen, sich einen Film anzusehen, können grundverschieden sein. Bei Mainstream-Produktionen ist es einfach – da entscheiden die Action, sicher die lebendig gewordenen Comic, nicht zuletzt die Stars. Andere Filme interessieren Cineasten, weil sie bei Festivals herumgereicht werden („Gaza Mon Amour“ erlebte bei den Filmfestspielen in Venedig 2020 seine Uraufführung). Aber geht man mit Filmen, durch Filme nicht auch aus Neugierde in andere Welten, deren Lebensalltag darin man sich eigentlich nicht vorstellen kann?
„Gaza Mon Amour“, produziert im Autonomiegebiet Palästina, bietet die Möglichkeit, hinter den „Zaun“ zu blicken. Kürzlich erst war man bei den Nachbarn, den Israeli, zu Gast, die ihren Alltag mit „Kiss me Kosher“ zwar nicht problemfrei, aber ziemlich heiter geschildert haben. Auch „Gaza mon Amour“, für Drehbuch und Regie gestaltet von den Brüdern Arab Nasser und Tarzan Nasser, hat durchaus Humor. Aber wie lebt man wirklich in Gaza, diesem von Israelis „eingeschlossenen“ Stück Land mit ein wenig Grenze zu Ägypten und sonst nur dem Meer als „Auslauf“? Ein Landstrich, kleiner als Wien, mit etwa eben so vielen Einwohnern. Palästinenser unter sich. Zeitungsberichte liefern hierzulande den Eindruck von Elend und Angst als ständigen Begleitern der Bevölkerung. Doch genau das thematisiert dieser Film nicht.
Die Regisseure wollen offenbar zeigen, daß die Palästinenser hier mehr oder minder das ganz normale Leben von ganz normalen Leuten leben. Honigschlecken ist es natürlich keines. Aber komische Turbulenzen sind möglich – wenn etwa aus dem Meer eine antike Apollo-Statue auftaucht, die für gläubige Moslems allerdings eine Herausforderung darstellt – hat der Kerl doch einen erigierten Penis.
Aber das ist nur ein Teil der Geschichte des ältlichen Fischers Issa, den man in der Darstellung von Salim Daw so richtig lieb gewinnt. Er ist ein ungemein sympathischer Held, der einen bescheidenen Alltag pflegt. Meist ißt er Selbstgefangenes, abends sitzt er vor dem Fernsehapparat oder plaudert mit einem Freund oder läßt sich von seiner energischen Schwester (Manal Awad) karniefeln.
 
Ein bißchen einsam – aber eigentlich wird die späte Verliebtheit in die ältliche Witwe Siham (Hiam Abbass), die mit ihrer Tochter einen kleinen Kleiderladen betreibt, sein Hauptproblem. Immerhin kann er vor dem Spiegel seinen Heiratsantrag proben…
Als er die antike Statue aus dem Meer fischt, die zweifellos ein archäologisches Prunkstück und unendlich wertvoll ist, könnte man meinen, daß sein Leben nun eine bessere Wendung nimmt, aber nein – Polizisten, Beamte, Wissenschaftler sind trickreich (und wohl auch betrügerisch), wie es eben vorkommen mag, sie kassieren die Statue ein, und Issa als Finder hat rein gar nichts davon. Man merkt schon, daß das Leben in Gaza für arme Leute nicht berauschend ist… wobei gerade diese Szenen durchaus satirisches Potential haben und den gelegentlich absurden Komödiencharakter des Ganzen unterstreichen.
Dennoch – die Regisseure erzählen die Geschichte von Issa doch melancholisch durchwirkt, aber nicht weinerlich. Und sie gönnen ihm sogar ein Happyend. Als er seinen Heiratsantrag endlich herausbringt, werden er und seine Angebetete, die daraufhin in Gelächter ausbricht, gestört. Aber schließlich findet man sie sogar im Bett, während im Finale der zarte Musette-Walzer aus der „Boheme“ (konzertant, ohne Gesang) die Szene umschmeichelt. Wenn das nicht aus Gaza nicht kurzfristig ein Märchenland der späten Verliebtheit und Liebe macht! Sollen die Schurken doch mit der Statue machen, was sie wollen!
 
 
Renate Wagner