Quark mit Kirschen

Schillertheater NRW Wuppetal „Der Kirschgarten“

von Frank Becker

v.l.: Tina Eberhardt, Friederike Tiefenbacher - Foto © Klaus Lefebvre
Quark mit Kirschen
 
Schillertheater NRW Wuppetal „Der Kirschgarten“
 
Wieso sich die Intendanz des Schillertheaters NRW Paolo Magelli - sicher nicht für einen Pappenstiel - aus Wien holte, um zum Spielzeitende Cechovs „Kirschgarten” auf die Bühne zu bringen, wird ein Rätsel bleiben.
Ist alte Verbundenheit ein ausreichender Grund? Daß Magelli die wunderschöne und vom Wuppertaler Publikum immer noch geliebte und gefeierte Friederike Tiefenbacher als Ranevskaja mitbrachte, sei ihm angerechnet. Das aber als einziges.
 
Weitab von Cechov und fern jeder Kischgartenromantik, bar des angemessen wehmütigen Humors haute Magelli eine Inszenierung hin, die nichts hatte, was man rühmen möchte. So lieblos wie seine Regie war auch sein schäbiges Bühnenbild, das phantasielos-schlicht (es geht durchaus schlicht, aber anders!) keine Freude machte. In bis zur Hinterbühne offenem Raum sind rechts und links aufgerollte Teppiche gestapelt, der Bretterboden ist kahl und leer. In dieser Leere erwartet auf einer Teppich-Insel der hochgekornmene Niemand Lopachin (Martin Bringmann) in alter Kulaken-Treue die Ankunft der aus dem französischen Exil heimkehrenden Aristokraten-Clique um die Ranevskaja (Friederike Tiefenbacher). Sie und die ihr bis zum Tag anhängenden Verwandten und Abhängigen sind bankrott. Das Geld ist verjubelt, Zukunft hat keiner. Die einzige Rettung verspricht die von Lopachin vorgeschlagene Parzellierung und Verpachtung des Kirschgartens, der, von allen hysterisch geliebt, in Frühlingsblüte steht (entsetzlich billig durch vom Schnürboden fallende Papierschnitzel symbolisiert). Ansonsten droht die Zwangsversteigerung. Zu der kommt es schließlich, Lopachin erwirbt das Anwesen, zu dem noch seine Vorväter als Leibeigene keinen Zutritt hatten und holzt sogleich den Garten ab. Die Familie zerstreut sich in ein neues Exil und - oh Schreck!- teils sogar redlich Arbeit. Was Cechov als Komödie deklarierte, wird bei Magelli weder dies noch das.

Weder erreicht er die Expressivität Zadeks noch die Sinnenfreude Steins. Es bleibt ein dröges Stück zu großer Räume und zu weiter Wege. Die respektablen Einzelleistungen einiger seiner Schauspieler fügt Magelli nicht zu einem homogenen Ganzen zusammen. So spielen sie denn auf verlorenem Posten: Friederike Tiefenbacher als die Gutsbesitzerin, eine glaubhaft verschwenderische und wirklichkeitsfremde Dame der Gesellschaft, aber zu jung für ihren Part und etwas zu aufgedreht. Tina Eberhard als Tochter Anja, erotisch erwachend und Franziska Becker als Pflegetochter Varja in grauer Strenge mit durchaus veritabler Leistung könnten ihre Schwestern sein. Hans Matthias Fuchs als vernaschter sorgloser Bruder Leonid liefert eine schöne Leistung ab, bleibt aber isoliert. Ordentlich Martin Bringmann als Lopachin und Eric van der Zwaag als frühsozialistischer Idealist Trofimov. Martina Reicherts erstes Auftreten in Wuppertal als Zimmermädchen blieb eher unbedeutend. Tim Grobes opportunistisch-sexistischer Lakai Jasa unappetitlich überzogen und Ingeborg Wolffs Auftritt oder besser Herumgeistern auf der Bühne samt albernem Hund unwichtig und verzichtbar. Siegfried W. Mascheks großartiges Talent wurde in der Figur des alten Dieners Firs verschwendet, wiewohl in Momenten erkennbar wurde, was er aus der Rolle hätte machen können, wenn man ihn gelassen hätte. Hingegen Hans Richter als fröhliches Pumpgenie Piscik ganz und gar in seinem Element und nicht zu bremsen, ein herrlicher Komödiant. Und wieder: Gerhard Palder, der dem ungeschickten Kontoristen Epichodov Gestalt gab. Liebenswürdig durchgeistigt stolperte er durchs schwere Leben, voller Herz und immer eine Zielscheibe des Spotts - ein Meister der kleinen Geste. Der Einsatz der Teppichrollen im 2. Akt als Rasen und nach der Pause als Ballsaal gab immerhin eine Idee der Möglichkeiten der Bühne, verpuffte aber ungenutzt. Zum Glück hatte Evelyn Schönwald exzellente Kostüme für alle Charaktere empfunden, versöhnlich für das Auge und stimmig zum Stück. Magelli hingegen ließ das Ensemble im Stich.
Fazit: Ein Kirschgarten, der schließlich zu recht abgeholzt wird, noch während die Vertriebenen die Koffer packen. Als letzte Inszenierung einer bis dahin erfolgreichen und schönen Spielzeit ein Ärgernis.
 
Frank Becker, 21.6.1998