Die Bedeutung des Körpers in der Gesellschaft

Dr. Steffi Grundmann forscht zu Antiker Körperkultur

von Uwe Blass

Steffi Grundmann - Foto © UniService Transfer
Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.
 
 
Die Bedeutung des Körpers in der Gesellschaft
 
Dr. Steffi Grundmann forscht zu Antiker Körperkultur
 
Promis machen es uns seit Jahren vor: Ob Kim Kardashians makellose Rückansicht, David Beckhams bestes Stück in markenbekannter Unterwäsche, Madonnas voll retuschierte, hüllenlose Ganzkörperansicht oder Burt Reynolds, wie Gott ihn schuf, auf einem Bärenfell, sie alle zierten die Titelseiten der Boulevardblätter; Sex sells, sagen die Macher und setzen uns die Körper der Reichen und Schönen immer wieder ins rechte Licht. Aber warum begeistert uns das so, wissen wir doch im Vorfeld schon, was uns beim Betrachten von Busen, Po & Co erwartet. Was fasziniert uns an diesen immer jungen Körpern so sehr?

Foto © Frank Becker
 
Alte Quellen – neue Fragen
 
Das Aussehen der Menschen spielte schon immer eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. In diesen Tagen hat uns das auch der Run auf die Frisörsalons und Barbershops noch einmal verdeutlicht. Daß das Thema so alt wie die Welt ist, weiß die Historikerin Steffi Grundmann, die sich an der Bergischen Universität im Fach Alte Geschichte mit Antiker Körperkultur beschäftigt, nur zu gut.         
Ganz zentral dabei sei ‚Die Geschichte der Sexualität‘ des Franzosen Michel Foucault, erklärt Grundmann, an dessen Büchern sich viele Wissenschaftler orientierten, die sich mit Körpergeschichte beschäftigten. Dazu kommen für die Historikerin noch die Frauen- und Geschlechterforschung sowie die Medizingeschichte, die den Körper in je eigener Weise betrachten. In den 1990er Jahren habe diese Forschung eine starke Zuwendung erfahren, weiß Grundmann, doch das sei auch schon wieder 30 Jahre her und man müsse heute die antiken Körper und Sexualitäten anders denken. „Seit den 2010er Jahren gibt es neue Impulse. Das ist auch genau der Bereich, dem ich mich zuordnen würde, nämlich den Körper nicht nur medizinisch anzuschauen, sondern nach dem Verhältnis von Körper und Politik zu fragen. Das ist ein großes Feld, das aber in den deutschen Altertumswissenschaften bisher wenig bearbeitet worden ist.“ Der Blick auf die immer gleichen Quellen, die seit mehr als 2000 Jahren bekannt seien, verändere sich durch die international verschiedenen Sprach- und Forschungstraditionen und dies führe dazu, daß die Wissenschaft heute neue Fragen an die Quellen richten könne.
 
Körper und Seele
 
„Eine ganz wichtige, zentrale Vorstellung, die aus der griechischen Philosophie kommt, ist die Trennung von Körper und Seele, die uns in den modernen, westlichen Gegenwartsgesellschaften sehr vertraut ist“, sagt Grundmann, „Die Idee, daß der Körper etwas anderes ist als die Seele und der Geist, verdanken wir Sokrates in ganz großem Umfang.“ „Platon übernimmt sie, Aristoteles ebenso und in der modernen Philosophie ist das bis heute eine zentrale Zugangsweise.“ Auch in der Medizin als Wissenschaft bringt das 5. Jahrhundert v. Chr. eine deutliche Veränderung. Neben dem eher handwerklichen Heilen und Zusammenstellen von Arzneimitteln rückt nun der Körper als solches mehr und mehr in den Mittelpunkt. Dies lasse sich im Corpus Hippocraticum (Eine Sammlung von mehr als 60 medizinischen Texten, die vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. entstanden sind. Anm. d. Red.) sehr schön nachlesen. „Es werden äußerst unterschiedliche Ideen vertreten, aber eine klare Stoßrichtung ist, nun den Körper zu betrachten und wissenschaftlich zu untersuchen bei empirischer Vorgehensweise. So werden Krankheitsverläufe beschrieben und Empfehlungen nach Symptomlage gegeben sowie Behandlungsvorschläge unterbreitet.“ Im Hellenismus (336 v. Chr. bis 30 v. Chr.) komme dem Körper in der Medizin eine ganz besondere, wegweisende Rolle zu, weil in dieser Zeit menschliche Leichen zumindest in Ägypten seziert worden seien. „Die griechischen Ärzte in Alexandria erzeugen damit ein Wissen, von dem die Späteren profitieren und es nutzen, ohne selbst tote Körper aufzuschneiden.“
 
Die Idealisierung männlicher Schönheit
 

Kuros von Tenea um 560 v.Chr.
Foto © Rainer K. Wick
Einen weiteren, entscheidenden Anteil an der Bedeutung des Körpers in der Antike komme den kunstvollen, überlieferten Skulpturen zu, die vor allem die männliche Schönheit idealisierten, weiß Grundmann. „In der griechischen Großplastik, also in der Kunst werden Männer sehr häufig wenig bekleidet oder nackt dargestellt. Das ist ein Zelebrieren männlicher Schönheit. Diese Körper sind trainiert, sie sind jung, oder maximal erwachsen, und sie sind schön“, erklärt sie. „Das prägt die Kunst in der klassischen Zeit ganz massiv. Weibliche Statuen sind in dieser Zeit bekleidet, haben aber auch eine körperliche Präsenz, nur eine andere.“ Diese idealisierte Körperlichkeit sei stark mit dem Bürgerstatus verknüpft und bilde die zentrale Kategorie in den griechischen Poleis (Als Polis bezeichnet man eine Gemeinschaft von mehreren tausend Bürgern mit Selbstverwaltung, Anm. d. Red.). „Und Bürger-Sein, wird meist mit männlicher Schönheit assoziiert.“
 
Haut und Haare – von der Idee zum Buch
 
Lange Zeit beschäftigte sich die Historikerin mit Sexualitäten und Medizingeschichte sowie deren Verbindungen. Im Zuge ihrer Magisterarbeit kam sie dann auf das Thema Haut und Haare, das Körperäußere, eine Forschungslücke, die sie Jahre später mit ihrem Buch ‚Haut und Haar - Politische und soziale Bedeutungen des Körpers im klassischen Griechenland‘ geschlossen hat. „Das Aussehen des Körpers nimmt in der Gesellschaft wichtige und disparate Bedeutungen an“, erklärt sie. Dazu untersuchte sie die griechischen Schriftquellen, die im 5. und frühen 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden sind. Die Tatsache, daß die Haare mit der Haut verbunden sind, zeige sich in unterschiedlichen Texten. Im oben genannten Corpus Hippocraticum werde das eine immer in Verbindung mit dem anderen genannt, in den klassischen Tragödien und Komödien, aber auch in der Geschichtsschreibung oder den Gerichtsreden werden äußere Merkmale beschrieben. Grundmann geht auf die Praktiken ein, die auf Haut und Haar einwirken, wie Entblößen und Bedecken, Berühren, Baden und Salben, Schneiden und Frisieren der Haare, Enthaaren, Tätowieren und Verletzen. Im letzten Teil ihres Buches widmet sie sich zudem der Bedeutung von Haut- und Haarfarben und deren Veränderbarkeit in Zusammenhang mit Gesundheit, Krankheit oder auch Gefühlen.
 
Haarpflege, um schön zu sterben
 
Daß Haare eine politische Bedeutung haben können, ist auf den ersten Blick schwer vorstellbar, doch Grundmann sagt: „Anhand dieser äußerlich sichtbaren Körpermerkmale werden Geschlecht, Alter und Herkunft, aber auch der rechtliche und ökonomische Status verhandelt“, und fährt fort, „eines meiner Lieblingsbeispiele sind der Athener, die am Ende der archaischen Zeit anfangen, die Haare kürzer zu tragen. Kürzer war nun nicht wirklich kurz, aber zuvor hatten Männer, und in einigen Poleis behalten sie das auch bei, wirklich lange Haare. Wir reden von Hüftlänge, oder zumindest bis zur Brust. Und das Frisieren der Haare mit den Utensilien, die man dafür braucht - es wird Öl aufgebracht, damit die Haare durch die Hitze nicht so beschädigt werden, und sie werden geflochten - das ist das, was wir auf den älteren Bildzeugnissen tatsächlich sehen. Nackte Männer mit wunderbaren Frisuren.“ Der Geschichtsschreiber Herodot schildert uns eine Episode, in der sich die Spartiaten zum Kampf in den Perserkriegen vorbereiten. Dazu Grundmann: „Der persische Späher beobachtet, wie sie ihre Haare kämmen, pflegen und flechten, damit sie für den Kampf vorbereitet sind, um im Zweifel schön sterben zu können.“ Den Haaren käme hier die Bedeutung von Mut und Männlichkeit in Verbindung mit Kampf und Krieg zu, erklärt die Historikerin.
 
Starker Haarwuchs durch gelebte Sexualität
 
Haare stehen in den Texten, die Grundmann untersucht hat, für Leben und Tod, für Sexualität oder Zivilisation. Aber es gebe nie nur die eine Bedeutung, so daß Haare kein eindeutiges Symbol seien. Bei ihren Recherchen hat die Wissenschaftlerin auch das ein oder andere Mal geschmunzelt, z.B. bei manchen medizinischen Beschreibungen. „Der Bart und auch die Körperhaare beim Mann wachsen immer mehr aufgrund der Erregung während des Geschlechtsverkehres, je mehr der Samen durch den Körper geflossen ist. Das ist kein Scherz“, betont sie. „Wenn sie also oft genug erregt gewesen sind, dann wird der Bart so richtig schön voll und irgendwann wachsen die Haare dann auch an der Brust, am Rücken usw. Ganz konkret ist das wirklich die Idee, daß im Körper etwas passiert, das sich, je nachdem wie ich sexuell agiere, auf mein Aussehen auswirkt.“
 
Nacktheit als Kunstform
 
Die nackte Darstellung meist junger Männer, dürfe man sich aber nicht als reale Wiedergabe vorstellen, erklärt Grundmann. „Es ist kein Foto! Es ist ein Kunstwerk oder eine vermittelte Form eines Bildes, daß diese Bürger in der Polis darstellt.“ Die tatsächliche Zurschaustellung von Nacktheit in der damaligen Zeit fand meist innerhalb des Sports statt. „Also im Gymnasion (ein Gymnasion war im antiken Griechenland ein Ort der körperlichen und intellektuellen Erziehung für männliche Jugendliche, Anm. d. Red.), da, wo man trainiert, da treffen sich die Männer und die Jünglinge. Man trainiert dann gemeinsam und da ist man dann nackt, oder trägt vielleicht noch einen kleinen Schurz.“ Darüber hinaus sei auch die Bedeutung des Wortes nackt (gymnós) im Griechischen zu bedenken, denn es könne auch im Sinne von „keine Waffen tragen“, „leicht bekleidet“ gebraucht werden. In den Schriftquellen sei hingegen festzustellen, daß Nacktheit im Alltag zwar geschlechtsunabhängig, aber immer als problematisch geschildert werde.


Jean-Auguste-Dominique Ingres - Jupiter und Thetis
 
Die Bedeutung unseres Körpers heute
 
Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Hautfarbe, welches bei den alten Griechen in keiner Weise mit Rassismus verbunden war, wird der Historikerin auch noch einmal die Bedeutung ihres Forschungsthemas bewußt, das in verschiedenen Gesellschaften völlig unterschiedlich verstanden wird. „Ich habe meinen Sprachgebrauch auch mit Kolleginnen diskutiert, die sich sehr intensiv mit post-kolonialen Ansätzen beschäftigt haben. Ich schreibe viel über Hautfarben und nenne sie auch so. Die Frage war nun, ob ich den Begriff benutzen kann, der doch heute mit der Vorstellung von Menschenrassen assoziiert ist. Da wurde mir klar, ich muß! Denn in den antiken Quellen geht es tatsächlich um die Farben der Haut, und ich habe die Bedeutungen analysiert, die ihnen im historischen Kontext zugeschrieben worden sind. Dabei geht es weniger um die Herkunft und ganz überwiegend um die Markierung der Geschlechterdifferenz.“        
Die Körperzentriertheit der gegenwärtigen Gesellschaft zeigt sich u.a. in den Schönheitsidealen und den verschiedensten Fitnessangeboten. „Wenn ich das mit mittelalterlichen Quellen vergleiche, in denen der Körper eher randständig ist, dann sind wir dem klassischen Griechenland relativ nah“, sagt Grundmann. Die Bedeutung von Haut und Haar wird dann offensichtlich, wenn diese Merkmale besonders hervortreten, sei es durch modische Veränderungen oder Notsituationen. „Als ich mit dem Thema 2010 anfing, da ging es auch wieder los, daß Männer Bärte trugen“, erklärt sie. Brad Pitt und George Clooney waren damals die Vorreiter. Auch Alt-Kanzler Schröders gefärbtes Haupthaar, Kanzlerin Merkels Friseur oder die bloße Tatsache, daß die Moderatorin Birgit Schrowange ihre Haare nicht mehr färbt, sind immer wieder triviale Meldungen, die uns aber doch beschäftigen. Und in Zeiten von Zoom-Sitzungen tritt die Bedeutung der äußeren Erscheinung in neuartiger Weise hervor. „Dort sehen wir nur den Oberkörper und insbesondere den Kopf. Jemand mit Kurzhaarfrisur hat nach einiger Zeit ohne Friseurbesuch ein Problem. Die Haare sind äußerst sichtbar und uns wird gerade wieder bewußt, welche Bedeutung das für uns hat.“
 
Uwe Blass
 
Dr. Steffi Grundmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrbereich Alte Geschichte der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Bergischen Universität.
 
Redaktion Musenblätter: Frank Becker