Sackgasse

„Striptease“ von Slawomir Mrozek

von Frank Becker

Sackgasse
 
„Striptease“ – Ein Einakter von Slawomir Mrozek
 
Zwei Herren: Hans Werner Otto, Stefan Otto – Kontrabaß: Barbara Jansen – Mitarbeit: Bénédicte Billiet
 
Es gibt Namen, die im Bereich der Bühne für Qualität stehen. Zum einen ist der des polnischen Dramatikers Slawomir Mrozek so einer, zum anderen sind es die der Brüder Stefan und Hans Werner Otto, die in der freien Schauspielszene Wuppertals Garanten für feines Theater sind. Zu erleben war das in Kombination vor ausverkauftem Haus am Freitagabend auf der „Insel“ im ADA, als die beiden und Barbara Jansen mit Slawomir Mrozeks Einakter „Striptease“ für ein Wuppertaler Déja vu sorgten, hatte das 1961 entstandene Stück doch im Jahr 1963 im dortigen Schauspielhaus in einer Inszenierung von Franz Reichert seine deutsche Erstaufführung erlebt.
 
Zwei Herren mittleren Alters im gediegenen Bürozwirn sehen sich von einer nicht nennbaren Energie in einen bis auf wenige Stühle leeren Raum genötigt, ja förmlich hinein gestoßen. Sie sind einander fremd, gehören aber zumindest vom äußeren Erscheinungsbild zum soliden Mittelstand. Konsterniert müssen sie, nachdem sie Kenntnis voneinander genommen haben, feststellen, daß sie – die Tür nach draußen steht zwar noch offen – auf keinen Fall mehr Herr ihrer eigenen Entschlüsse sind, mögen sie es anfangs auch noch glauben. Die Macht, die Kraft, die Gewalt, die sie dorthin gebracht hat, weitet sich aus, entkleidet sie ihrer Individualität und ihrer vermeintlichen Freiheit. Sie stecken in einer Sackgasse.
Das Thema ist nicht neu, erinnert es auf den Spuren Franz Kafkas in seiner Grundkonstruktion doch sehr an Jean Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. Der politische Hintergrund weist ebenfalls Parallelen auf: Als Sartre 1944 sein Stück schrieb, war Paris von der deutschen Wehmacht besetzt – als Mrozek den „Striptease“ zu Papier brachte, ächzte Polen, vor allem nach dem von russischen Panzern niedergeschlagenen 1961er Aufstand, unter der Pression des Kommunismus.
 
Zurück zu unseren beiden Anti-Helden, die ihr Schicksal nach temporärer Auflehnung und heftiger, wortreicher Argumentation zwar beide annehmen – stets in der Erwartung einer tragbaren Lösung, wie immer die auch aussehen möge, dann aber verschiedene Wege zum Unausweichlichen einschlagen. Der eine gebärdet sich nach erster Wut in der Hoffnung auf Milde eher pragmatisch mit der Neigung zur Devotion als Fatalist (Hans Werner Otto), der andere versucht in wortgewandter intellektueller Spitzfindigkeit den Spieß quasi umzudrehen und sein Schicksal als Opportunist zur eigenen Entscheidung umzudeuten (Stefan Otto). Doch Zug um Zug werden sie von der unerbittlichen Macht, packend dargestellt durch intelligente Lichtregie (Bénédicte Billiet) und die Stimme des von Barbara Jansen aus dem Off  gestrichenen Kontrabasses, ihrer Entscheidungsfreiheit und ihrer bürgerlichen Insignien beraubt. Erst werden die Schuhe, mit denen zunächst noch empört gegen die Wände gehämmert wurde, gefordert, dann fallen Krawatte, weißes Hemd, Gürtel und Anzug – und mit ihnen alle Würde. So entsetzlich klein und hilflos gemacht, ergeben sich die beiden Herren ohne Widerworte in ihr Schicksal und gehen dem fatalen Befehl folgend ins Dunkel, unter dem sich jeder Zuschauer vorstellen mag, was ihm dazu Schreckliches einfällt.
 
Eine beeindruckende, mit intensiver Dichte, großer Präzision, brillanter Choreographie und von beiden Darstellern mit hoher Schauspielkunst gegebene Aufführung dieser Perle des absurden Theaters – so sieht Theater aus, so muß es aussehen. Chapeau! 
 

Foto © Hans Werner Otto