Das Leben schreibt tatsächlich die häßlichsten Geschichten

„Der Mauretanier“ von Kevin Macdonald

von Renate Wagner

Der Mauretanier
The Mauritanian - USA 2021

Regie: Kevin Macdonald
Mit: Tahar Rahim, Jodie Foster, Benedict Cumberbatch u.a.
 
Die Geschichte des „Mauretaniers“ ist ein rundum heikler Film. In erster Linie ist er eine Selbstanklage der USA, die wahrlich Berechtigung hat. Denn als Präsident Bush nach dem Elften September das US-Gefangenenlager für Islamische Terroristen nach Cuba „auslagerte“, wurde Guantanamo Bay zum „rechtsfreien“ Raum, wo man Menschen einfach verschwinden lassen und den gnadenlosesten Foltern aussetzen konnte. Schließlich war man ja nicht in Amerika. Tatsache ist, daß auch die deklarierten besten Absichten von Präsident Obama einst und Präsident Biden heute noch nichts geändert haben – das Lager existiert weiter, es befinden sich darin Häftlinge, und wie mit ihnen nach wie vor umgegangen wird, möchte man sich lieber nicht vorstellen.
Es ist also die Darstellung dessen, wie eine angebliche Demokratie sich nachweislich verbrecherisch verhält, die am Beispiel von Mohamedou Ould Slahi erzählt wird. Er wurde von 2002 bis 2017 unter der Begründung, er sei ein Al-Qaida-Drahtzieher von 9/11 gewesen, nach Guantanamo gebracht, unvorstellbaren Qualen unterzogen, aber nie vor Gericht gestellt.
Es ist wichtig, nicht zuletzt für den Kinobesucher, daß man es hier wirklich mit einem „unschuldigen“ Mann zu tun hat, obwohl der Mauretanier früher Beziehungen zur Al-Qaida unterhielt, sonst wäre man ja nicht auf ihn gekommen. Aber mit 9/11 hatte er nichts zu tun, was die Amerikaner bald merken mußten – doch ihr Bedürfnis, schnell „Drahtzieher“ und „Schuldige“ zu liefern, ließen sie Slahi festhalten, als auch schon der Ankläger (keine große, aber differenzierte Rolle für Benedict Cumberbatch) nicht nur erkannte, daß er keine Beweise erbringen konnte – sondern auch, welches Unrecht hier im Namen einer amerikanischen Gerechtigkeit begangen wurde.
 
Nun hat man also auf der einen Seite die ungemein tragische, schmerzliche Geschichte des ungerecht Verfolgten (so ergreifend gespielt, wie es die Figur her gibt, von dem algerischen Schauspieler Tahar Rahim). Auf der anderen Seite gibt es eine Art „Krimi“-Element, das nicht besser wird, wenn es das Leben geschrieben hat. Denn die Anwältin Nancy Hollander, die Slahi schließlich doch die Freiheit verschaffte, gibt es, sie sieht „in echt“ (am Ende erblickt man wie üblich die Echtmenschen, die da etwas attraktiver auf die Leinwand gebracht wurden) fast ein bißchen Jodie Foster ähnlich.
Diese macht allerdings, auch wenn sie die Rolle in stiller Verbissenheit spielt und nicht wirklich zeigt, was sie antreibt außer das hohe „Gerechtigkeitsgefühl“ (da hätte das Drehbuch ein bißchen Psychologie mitliefern können), dann doch das Starvehikel einerseits, den Gerichtssaal-Film andererseits aus der Geschichte, also gewissermaßen das Übliche. Und man merkt, daß all die widersprüchlichen Elemente des Films auch von einem so geschickten Regisseur wie Kevin Macdonald (der Brutalität, Kitsch, Verzweiflung, Spannung auszubalancieren hatte) nicht völlig auf einen Nenner zu bringen waren.
Als die Amerikaner Slahi nach 15 Jahren Qual und Hoffnungslosigkeit gehen ließen, hat niemand sich auch nur mit einem Wort bei ihm entschuldigt. Er fand eine Art „Entschädigung“, wenn das überhaupt möglich ist, als sein „Guantanamo Tagebuch“ zum Bestseller und nun auch zum Film wurde. Heimgekehrt nach Mauretanien, sieht man auch ihn am Ende „in echt“. Das Leben schreibt tatsächlich auch die häßlichsten Geschichten – mit „Happyend“. Und Joe Biden mag viel zu tun haben, aber er sollte auf den aktuellen Schandfleck seines Landes in Cuba nicht vergessen.
 
 
Renate Wagner