Das Kuckucksei oder Wieviel wiegt eine Lüge?

Neil LaButes „All the Ways to Say I Love You“ im Wuppertaler ADA

von Frank Becker


Das Kuckucksei
 
oder
 
Wieviel wiegt eine Lüge?
 
Neil La Butes „All the Ways to Say I Love You“ auf der „Insel im ADA“
 
Regie: Julia WolffRegie-Assistenz / Film-Assistenz: Vanessa Radman - Kostüm: Sarah Prinz - Live-Kamera / Film: Sol Hüttich
Schauspiel: Beate Rüter
 
Also, so richtig dramatisch, so schonungslos ans Eingemachte gehend und hochnotpeinlich wie man es von Neil LaBute gewöhnt ist, zeigte sich dieser Abend mit „All the Ways to Say I Love You“ auf der „Insel im ADA“ nicht. Dramatisch, zumindest für die dramatis personae bleibt die Geschichte – die notabene in den USA spielt und nur da möglich ist - um einen folgenreichen Seitensprung einer weißen Lehrerin mit einem schwarzen Schüler allemal.
Der amerikanische Dramatiker Neil LaBute hat mit intelligenten, wenn auch nicht neuen Schlaglichtern auf die PC, den Eiertanz im Sprachgebrauch Hautfarben betreffend (Andersfarbig? Anders als was oder wer? Gemischtrassig? Neger? Nigger? Nigga, Schwarz oder farbig? Wer darf was sagen und wer auf keinen Fall?) und auf die Chancenungleichheit von schwarzen Amerikanern im Bildungswesen die persönliche Tragödie von drei Menschen umrissen, deren Leben durch diese lustvolle Episode tiefe Einschnitte erfährt.

     Da ist die Erzählerin Faye Johnson (Beate Rüter), engagierte Lehrerin, rückblickend kinderlos  und in ihrer Ehe sexuell völlig unbefriedigt. Sie lernen wir kennen, weil sie sich in dem Solo für eine Schauspielerin 85 Minuten lang (die übrigens im Fluge vergehen) vor dem Publikum im Saal rechtfertigt, ohne sich selbst zu überzeugen. Faye ist weiß, sehr weiß, wie ihr Kostüm mit marginalem, aber deutlich sichtbaren schwarzen Paspeln (Sarah Prinz), das ihr wie ein zynischer Comic-Sketch auf den Leib gezeichnet wirkt, deutlich unterstreicht. Da ist ihr Mann, den sie liebt, sie betont das immer wieder: Mein Mann, Eric, Jurist, brav, treu (oder vielleicht doch nicht) und im Bett phantasielos. Und schließlich Tommy, ein Schüler, ebenfalls schwarz, der ihr so gut gefällt und umgekehrt, daß sie ihn verführt und mindestens an fünf Tagen im April großartigen Sex mit ihm hat. Die Betonung liegt auf Sex. In ihrer Erinnerung ist der zweite Tag, der 15.4. der mit dem offensichtlichen Super-Orgasmus, während die Frequenz der – wie sagte einst Bill Clinton so zutreffend: sexual relations schon am 18.4. zurückgeht.

     Aber die Erinnerung verklärt alles, wer kennt das nicht, und Faye träumt vom Gehabten. Daß eine Frau, wie sie, in der kurzen Affäre schwanger geworden ist, kommt vor. Daß sie es ihrem Mann als Kuckuckskind unterschiebt, ebenfalls. Das Mädchen, das zu früh  geboren mit nur 2800 Gramm wird, entgleitet ihr im Lebensprozeß. Wir erfahren das, weil Faye, als sie das alles bekennt, reflektiert und bejammert, zum Zeitpunkt ihrer Bekenntnisse schon wesentlich  älter ist. Wir erkennen mit tiefem Mitgefühl, daß seit Tommy und „Just the two of us“ viele Jahre vergangen sind, Jahre, die Faye zu einer unglücklichen, sich selbst belügenden Frau gemacht haben, die nichts mehr hat als ihre schulische Routine. Beate Rüter setzt das unter der Regie von Julia Wolff bewegend ins Bild. Was ihr bleibt, ist die Lüge, die 2800 Gramm wiegt.

     Drei Damen stehen für die wirkungsvolle Umsetzung dieses Solos: Beate Rüter (Schauspiel), Julia Wolff (Regie), Vanessa Radman, nicht zu vergessen Sol Hüttich, der während der Aufführung sensibel die Live-Kamera geführt hat. So muß Theater sein. Das lange entbehrte Erlebnis nach zig Monaten der Durstrecke wurde von den Besuchern (ausverkauftes Haus) mit verständlichem Enthusiasmus gefeiert.
 
Termine: Weitere Vorstellungen am 24. und 25. Juni.