Sentimental wird er nie. Bitter ist er immer.

„Falling“ von Viggo Mortensen

von Renate Wagner

Falling
(Kanada / GB / Dänemark - 2020)

Drehbuch und Regie: Viggo Mortensen
Mit: Viggo Mortensen, Lance Henriksen, Laura Linney, Terry Chen
Gabby Velis u.a.
 
Kunst war immer auch dazu da, persönliche Probleme zu bewältigen, diese gewissermaßen auf eine höhere, allgemeine Ebene zu heben. Genau das tut Viggo Mortensen in seinem Film „Falling“. Man kennt Mortensen, Amerikaner mit dänischem Vater, seit langem als außerordentlichen Darsteller, der auch als Musiker und Schriftsteller erfolgreich ist. Nun hat er alle seine Talente gebündelt, um als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller eine außerordentlich traurige Geschichte zu erzählen, die zu einer gültigen Abrechnung wird.
Generationskonflikte beherrschen die Literatur – und das Leben. Weltanschauungen prallen auf einander. Im Umgang miteinander erweist sich der Charakter. In diesem Fall wohnt in der absoluten, brutalen Rücksichtslosigkeit der Vater-Figur erschreckende Kraft, während der bewußte „Gutmensch“ daran scheinbar nur scheitern kann, weil er auch noch die andere Wange hinhält.
 
Es ist eine gerade erzählte Geschichte mit einigen Rückblenden, versetzt in die Obama-Ära, um ihr die totale Schärfe der Trump-Welt zu nehmen. Willis, der alte Vater, einst ein Farmer aus dem Mittleren Westen, lebt bei John, seinem Sohn, in Kalifornien. Wie betreut man sie, wie geht man mit ihnen um, den Alten, wenn man die Verantwortung persönlich annimmt und das Problem nicht in ein Heim auslagert? Zumal, wenn dieser halb demente Vater an allem etwas auszusetzen hat und das mit absoluter Unverblümtheit ausdrückt. Daß der Sohn schwul ist zum Beispiel, obwohl er mit einem überaus sympathischen halb-chinesischen Ehemann (Terry Chen) zusammen lebt. Immer dieselben Angriffe auf den „Japaner“, auf den „Doktor“, obwohl er weiß, daß Eric „a male nurse“ ist, immer wieder Stänkern im Hinblick auf die adoptierte Latina-Tochter der beiden (Gabby Velis). Es scheint eine unendliche Geschichte, wie man sie in ihren Wiederholungen aus dem Leben kennt, weil der eine nicht locker läßt und der andere zu nobel ist, sich zu wehren, auch wenn er auf die übelste Weise angepatzt wird. Man leidet sehr unter dieser Geschichte und der perpetuierten „Bösheit“, die hier den Alltag vergiftet. Und spürt doch die Echtheit, das Ungekünstelte, weit entfernt vom üblichen „Gemachten“ des üblichen Kino-Klischees.
 
Es gibt Rückblenden in die Kindheit, schon damals war der Vater ein Ekelpaket. Es gibt Streiflichter auf andere Familienmitglieder, die Schwester (Laura Linney), die mit ihren Kindern zu Besuch kommt und dann doch wieder davon läuft, weil sie Vaters permanente Gemeinheiten nicht erträgt, auch nicht, wie er die Erinnerung an ihre Mutter, seine Frau, heruntermacht. Es ist eine Gebetsmühle des Elends, die schließlich nur mit dem Tod des Alten enden kann.
Dabei strahlt der alte Lance Henriksen („Ich bin ein Wikinger!“ brüllt er) so viel Kraft aus, daß er alles beherrscht – und doch ist Viggo Mortensen als John kein Schwächling, er hat nur beschlossen, nie so zu sein wie sein Vater. Als Filmemacher ist er gnadenlos, ehrlich und fast unpathetisch, einzig in manchen Rückblenden (wenn es um die Mutter geht, die den Mut hatte, den Vater zu verlassen, was ihr seinen lebenslangen Haß eintrug) zu musikumspült. Dennoch – sentimental wird er nie. Bitter ist er immer. Dabei hat Viggo Mortensen diesen Film seinem verstorbenen Vater gewidmet…
 
 
Renate Wagner