Die Frau mit der unvergleichlichen Stimme

„Tina“ von Dan Linsdsay

von Renate Wagner

Tina
USA - 2020

Regie: Dan Lindsay
Mit: Tina Turner, Angela Bassett, Carl Arrington, Jimmy Thomas,
Katori Hall, Kurt Loder, Oprah Winfrey u.a.
 
Die Dame ist dermaßen legendär, daß man sich eigentlich wundert, daß sie noch lebt. Aber ja, da ist sie, Tina Turner, 81jährig, mit ihrem zweiten, deutschstämmigen Gatten in der Schweiz ansässig, offenbar erstmals in ihrem Leben privat glücklich, obwohl sie selbst sagt: „It was not a good life.“
Diese Aussage steht am Beginn des Dokumentarfilms „Tina“ von Dan Lindsay und T. J. Martin. Kein Spielfilm wie jener vor Jahren, als Angela Bassett Tina spielte und Laurence Fishburne Ike Turner verkörperte. Damals, 1983, sah man die Dinge noch anders. Daß heute Themen angesprochen werden, die man damals umrundete oder kinogerecht adaptierte, etwa den Mißbrauch – das wird schon ziemlich am Anfang des Films klar. Es erzählt vielfach die alte Tina Turner selbst, neben ihr Zeitgenossen und Gefährten. Und das Ganze ist so spannend zusammen gefügt, daß der Dokumentarfilm wie „echt“ wirkt – was er ja auch ist.
Zusammen kommen eine Persönlichkeit und ein Leben. Die Persönlichkeit: Tina Turner, als die sie (mit dem Namen des ersten Gatten) in die Geschichte der Populärkultur und der amerikanischen Nation einging, weltweit erfolgreich als sie selbst, nachdem sie zu lange nur das „Anhängsel“ ihres Mannes gewesen war. Tina Turner, die umwerfende Königin des Rock ’n Roll“, in dieser Rolle ungeschlagen. Und das Leben, das kein Honigschlecken war.
 
Der Film ist als chronologisches Biopic aufgemacht, schlägt das Buch des Lebens auf, von einer nicht glücklichen Kindheit an, in der sie im Kirchenchor Gospel sang, zu einer fatalen Ehe. Sie war 19, als sie Backgroundsängerin für die Band Kings of Rhythms von Ike Turner wurde, fungierte – jung und naiv, wie sie sagt – als „Aufputz“ im Hintergrund und trug doch so viel zu seinem Ruhm bei. Gewalt hatte es schon im Elternhaus gegeben, Gewalt herrschte in der Ehe, sie versuchte sich umzubringen, bis sie die Kraft hatte, nicht länger in der Lüge leben zu wollen. Klingt wie ein Drehbuch, war aber harte Wirklichkeit.
Es war ein Risiko, sich von Ike zu trennen (nicht im Guten), seperated and divorced, wie sie bitter sagt. Es war schwer, eine eigene Karriere aufzubauen, aber, wie man weiß, sie schaffte es – und daß nicht nur sie erzählt, sondern auch viele, die dabei waren, die sie kennen, trägt zur Lebendigkeit des Gezeigten bei. Ja, und natürlich die Musikszenen – Tina on Stage, die Frau mit der explodierenden Kraft, die sie so mühelos auf das Publikum überträgt.
Aber es war keine Sonnenschein-Karriere, plötzlich „my own boss“ zu sein, wie sie sagt, vom Sidekick zur Solo-Künstlerin. Aber sie wollte es, sie war, wie sie sagt, zu lange im Hintergrund gehalten worden. Ihr Weg in die Selbständigkeit ist heute ein Beispiel für jene Frauen, die sich aus der Umklammerung der Männer befreien.
Leicht war es nicht, sie reflektiert über die Einsamkeit (als sie Ike verließ, hatte sie auf einmal überhaupt keine Freunde mehr, sagt sie), über den Karrieredruck (sie trat überall auf, um sich und ihre Kinder zu ernähren), und es dauerte lange, bis die Leute sich abgewöhnten, „Ike und Tina“ zu sagen – und es nur noch Tina war, Tina Turner. Die Frau mit der unvergleichlichen Stimme.
 
Und dann hatte sie ja doch auch Glück: Der australische Manager Roger Davies hat dann dreißig Jahre ihre Karriere erfolgreich gelenkt. Ihr heutiger Ehemann Erwin Bach, 16 Jahre jünger als sie, wurde von der Presse zuerst hämisch als Tinas Spielzeug betrachtet, bewährte sich aber nach der Eheschließung 2013 bis heute als Ehemann und Gefährte. Und Ike? Als er starb, war er nur noch „the abusive husband of Tina Turner“. Mißbrauch in jeder Hinsicht nicht länger versteckt.
Es ist ein analytischer Film, nicht billig-spekulativ, ernsthaft auf den Spuren der Entwicklung einer Persönlichkeit. Und wenn Tina „rockt“ – ja, dann reißt sie mit, dann weiß man, was das Besondere dieser Frau ist.
 
 
Renate Wagner