Muckenich beim Meerweib

von Julius Stettenheim

Foto © Alexander Hochhaus 

Muckenich beim Meerweib
 
Auf dem Rummelplatz zeigt ein Bild den Fang einer Sirene. Sie ist mit einem kolossalen Lockenhaupt dargestellt. Muckenich tritt an die Kasse.
Muckenich: Bin ick hier recht bei dem Meerweib, und was kostet es?
Kassiererin: Fünfzig Pfennig.
Muckenich: Et steht anjeschrieben: Soldaten und Studenten zahlen die Hälfte. Ick bin Soldat und Student jewesen, ziehe mir also zweemal die Hälfte ab und zahle jar nischt.
Kassiererin: Darauf kann ich mich nicht einlassen.
Muckenich: Sie sollen sich ja auch nich einlassen, sondern mir. Hier sind denn also fünfzig Pfennige, und nun seien Sie jemütlich.
Muckenich geht in das Zelt und trifft daselbst auf ein liegendes ausgestopftes Meerweib. Erklärer: Hier, meine Herrschaften, sehen Sie das Meerweib.
Muckenich: Det arme Jeschöpf det, wie hat die sich auf dem weiten Weg vom Meer bis hier in die Stube verändert! Det is aber 'n jewöhnlicher Seehund. - Freuen Sie sich, det er dot is, sonst müßten sie Hundesteuer bezahlen. Nee, so wat!
Erklärer: Schauen Sie sich das Tier an, sieht es nicht wie ein Mensch aus?
Muckenich: Nee, et mag ja Menschen geben, die wie Seehunde aussehen, aber ick kenne sie nich.
Erklärer: Ick kann Ihnen aber sagen, daß dies kein Seehund ist, es ist, wie ich Ihnen sage, ein Meerweib.
Muckenich: Wetten Sie nicht! Sie wollen mir doch nich weisrnachen, daß dieser Seeköter eene von die Sirenen is, die sone wilden Töne von sich jeben, mit denen sie die ollen Griechen anlockten und sie dann umbrachten?
Erklärer: Das ist allerdings Mythe.
Muckenich: Die werden Sie wahrscheinlich schuldig bleiben, denn ick jloobe nich, daß Sie 'n Jeschäft machen werden. Der Berliner läßt sich keenen jewöhnlichen Seebären uffbinden. Ein Zuschauer: Ich bitte um weitere Erklärung.
Muckenich: Ick bitte jleichfalls darum, lassen Sie sich nich in Privatjespräche ein.
Erklärer: Also, meine Herrschaften, das ist ein Meerweib, und wie Sie sehen, hat es Hände und Brüste ganz wie ein Mensch.
Muckenich: Was Menschenhände nich alles ausstoppen können!
Zuschauer (zu dem Erklärer): Bitte, fahren Sie doch fort.
Muckenich: Dazu möchte ick Ihnen jleichfalls jeraten haben. Fahren Sie, wohin Sie wollen, aber in Berlin ist mit so was keen Jeschäft zu machen. Wenn Sie dajejen mal 'ne lebendige Seejungfer ufftreiben können, denn kommen Sie wieder; denn werden 'Se sehen, was Sie für ausverkoofte Häuser haben. Aber uf diesen Seehund kommt Ihnen keen Berliner. Na, uf Wiedasehn, ick wünsche Ihnen vajnüjte Zuschauer. (Geht hinaus) Wie ick das Bild draußen jesehen habe, dachte ick Wunder was Wunder.
(Er wendet sich zur Kassiererin) Jeben Sie vierzig Pfennig retour, denn mehr wie zehn is Ihre Wassermamsell unter Brüdern nich wert.
 
Julius Stettenheim