Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken

Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 20

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Ryszard Kopczynski

Michael Zeller
 
Was alles wir der chinesischen Fledermaus verdanken
 
Aus meinem Corona-Logbuch, Folge 20
 
 
Das englische Virus
oder
die Sache mit dem home schooling
 
Mittlerweile ist die Virusseuche, die über das Land gekommen ist, längst in ihre zweite Runde gegangen. Mitte März 2020 hatte sie uns alle aus unserem gewohnten Alltag gerissen, vollkommen unvorbereitet. Und diese vergangene Zeit ist nicht ohne Spuren geblieben. Wir alle haben unsere Lektion lernen müssen, haben eigene persönliche Erfahrungen gemacht, sehr viel mehr leidvolle als erfreuliche. Wir haben schon Erinnerungen an Corona und können jetzt Vergleiche ziehen, Verluste bilanzieren, und selbst – wenn auch in erheblich geringerem Maße – Gewinne.

Gern spreche ich heute über einen solchen Gewinn gegenüber dem Vorjahr. Er macht mir persönlich Mut. 

Seit kurzem fällt in der öffentlichen Rede eine Veränderung auf. Das Sprachverhalten sowohl in Politik wie bei den Medien ist deutlich ein anderes geworden. Vor einem Jahr waren die Anglizismen nur so aus dem Boden geschossen - wie ein Naturereignis. Nahezu das gesamte Vokabular für Corona wurde aus dem englischen Wortschatz bestritten. In dieser Jahrhundertkrise, in der es für jeden von uns um Tod und Leben geht – reichte dafür unsere Sprache nicht aus? Brauchte man eine Fremdsprache dafür? Es schien, als hätte der Schock uns unsere Zungen gelähmt.

Daß es sich dabei meist auch noch um ein ziemlich mißliches Englisch handelte, wenn zum Beispiel die schlichte Arbeit zu Hause als home office geadelt wurde, womit die Engländer ihr Innenministerium bezeichnen – geschenkt! Auch, daß die Übernahmen überwiegend falsch geschrieben sind, nach englischen wie nach deutschen Regeln – in einem sprachlichen Niemandsland gibt es offenbar keine Regeln. 

Doch seit kurzem nehme ich eine zuehmende Rückkehr zu unserer eigenen Sprache wahr. So dumm und so häßlich scheint sie also gar nicht zu sein. Als ein Beispiel nenne ich das Wort „Fernunterricht”. Es hat inzwischen in fast allen Nachrichten dem englischen home schooling den Rang abgelaufen.
Und das mit gutem Grund, wie ich meine.

Im Vergleich zu home schooling ist „Distanz- oder Fernunterrricht” der ungleich passendere Begriff. Er trifft präziser und bildhafter die traurige Situation, die unseren Schulkindern seit einem Jahr zugemutet wird. Beinahe wochenweise werden sie zwischen Schul- und Fernunterricht hin- und hergeschoben. Das Fernsein vom Schulalltag, die fehlende Nähe zu den Mitschülern, mit denen man mal einen Blödsinn machen kann, die Ferne von den Lehrkräften, wo niemand einem etwas persönlich verklickern kann, kein Nachfragen möglich ist  – ja, diese ganze schmerzliche Ferne, das Außergewöhnliche, Behelfsmäßige, zumal für Kinder, steckt in dem deutschen Wort Fern-Unterricht. Fernunterricht ist für Kinder absolut kein gemütliches Herumsitzen daheim, wie es das Wort home schooling fälschlich suggeriert.

In dem gesamten englischen Wortzauber, wie er zu Beginn von Corona hier über Land und Leute ausgekippt wurde (von wem eigentlich? und wozu?) – ich finde keinen einzigen Begriff darunter, der nicht auf Deutsch ebenso gut wenn nicht  besser die Sache träfe.

Deshalb freut mich dieser Rückgriff auf das Eigene mächtig. Wenn nicht mit der Sprache – womit sonst sollte eine Gesellschaft denn zusammengehalten werden?
 

© 2021 Michael Zeller für die Musenblätter