Blitzmädels?

Stefan von Senger und Etterlin – „Frauen in der Wehrmacht 1939-1945“

von Robert Sernatini

Blitzmädels?
 
Vom Aufbau und Ende einer Illusion
 
Es bleibt umstritten, ob Frauen überhaupt ins Militär gehören, vor allem in die kämpfende Truppe, wie es heute im Zeichen der mitunter etwas überinterpretierten Gleichberechtigung der Geschlechter üblich ist. Frauen in Uniform haftet einerseits etwas Hartes, Unweibliches an, andererseits wirken Frauen in Uniform, zumal, wenn diese gut geschnitten ist, auf viele Männer eher verführerisch als angsteinflößend und wecken Begehrlichkeiten. Während der kurzen, aber schrecklichen und unseligen Zeit des Nationalsozialismus hat man Frauen zum einen zu fürsorglichen Müttern und völkischen Gebärmaschinen stilisiert, sie aber gleichzeitig schon als kleine Mädchen in Uniformen gesteckt und an ein System der Gehorsamkeit und Disziplin gewöhnt. Als dann der 2. Weltkrieg von einem Haufen irrsinniger Parvenüs um den größenwahnsinnigen Diktator Adolf Hitler vom Zaun gebrochen wurde, wurde sehr schnell klar, wieso man das getan hatte. Die jetzt vom Mädchen zur jungen Frau gewordenen „Mädels“ waren vorbereitet. Man steckte sie in neue Uniformen und ließ sie Aufgaben übernehmen, die Männer für den kriegerischen Fronteinsatz frei machten.
 
Weit über eine Million Frauen, die Gesamtzahl wird in dem Buch „Frauen in der Wehrmacht 1939-1945“, das Ihnen hier vorgestellt wird, mit 1.420.700 genannt, wurden während des Zweiten Weltkriegs zum Dienst in der Deutschen Wehrmacht herangezogen: als Nachrichten- und Flakhelferinnen, in den Lazaretten, in der Luftwaffe, bei der Marine, als Bereiterinnen, Melderinnen, Funkerinnen, Telefonistinnen und bei der Feldpost. Auch die legendäre Verschlüsselungsmaschine Enigma“ wurde von Wehrmachtshelferinnen bedient. Von Kindesbeinen vorbereitet in den uniformierten und nach dem Führerprinzip aufgebauten Organisationen des BDM (Bund Deutscher Mädel) wußten sich die jungen Frauen in die militärischen Strukturen und Aufgaben schnell einzufinden und sie effektiv zu erfüllen. Fest steht, daß ohne ihren Einsatz der ohnehin irrwitzige und nicht zu gewinnende Krieg gegen die ganze Welt bestimmt schon früher verloren gewesen wäre. Am Ende aber waren sie wie die an der Front verheizten Soldaten nichts anderes als Kanonenfutter für den wahnwitzigen Kriegsirrsinn der Nationalsozialisten.
Tausende wurden zudem, als die „Heimatfront“ bröckelte, neben Zwangsarbeiterinnen in der Rüstungsindustrie eingesetzt und mußten, z.B. als Straßenbahnfahrerinnen und -schaffnerinnen die Funktion der Infrastruktur in der Heimat gewährleisten.
 
 
Das Abenteuer: Wehrmachtshelferinnen 1940 an der Akropolis

Wegen ihres Uniformabzeichens niedlich als „Blitzmädel“ bezeichnet, und von der Nazi-Propaganda in flotten, weiblich geschnittenen Uniformen und mit schicken Schiffchen aufs ondulierte germanische Haar gedrückt idealisiert, haben viele von ihnen, verführt und fehlgeleitet, ihren Einsatz, vor allem auch in den besetzten Ländern als romantisches Abenteuer und Ausflug in die große weite Welt empfunden. Das Abenteuer endete für viele spätestens 1945, wenn sie im Bombenhagel wie ihre Schwestern und Mütter in der Heimat umkamen oder als uniformierte Kombattanten in die Hände der heranstürmenden Sowjetarmee fielen. Erschossen zu werden war dann für viele das leichtere Los, als von wütenden Horden Mal um Mal vergewaltigt zu werden. 
 
 
Die Wirklichkeit: Flakhelferin (nicht datiert)

Stefan von Senger und Etterlin hat in seinem Buch über dieses wenig beleuchtete Kapitel des Krieges und der 3. Reichs untersucht, wie, wo und in welchen Funktionen Frauen zur Unterstützung der verschiedenen Waffengattungen eingesetzt worden sind und was aus ihnen nach dem Ende des 12 Jahre währenden „Tausendjährigen Reichs“ wurde. Er beleuchtet mit Zeitzeugen-Berichten, Fotos und Dokumenten Hintergründe und Einsätze dieser heute fast vergessenen Hilfstruppe in der Wehrmacht und vergleicht sie in dem interessanten Anhang „Fremde Heere“ mit der Rolle der Soldatinnen in den Streitkräften der Alliierten - von den gefeierten schönen russischen Scharfschützinnen und den berühmten Fliegerinnen, den wagemutigen »Nachthexen« der sowjetischen Luftwaffe über die amerikanischen Soldatinnen des WAC (Women´s Army Corps) und der WMCR (Marine Corps Women´s Reserve), die britischen Soldatinnen der WAAF (Women's Auxiliary Air Force) bis hin zum letzten Aufgebot der kaiserlichen japanischen Armee von Mädchen in Schuluniformen mit Bambusspeer und Pfeil und Bogen.
 
Die deutschen „Blitzmädels“ wurden sie sogar noch nach dem fatalen Ende des mörderischen Krieges bis in die 1950er Jahre verklärt, denkt man an den Film „Blitzmädels an die Front“ von Werner Klingler (1958). Ein Buch wie das von Stefan von Senger und Etterlin schafft da notwendige, späte Aufklärung.
 
Stefan von Senger und Etterlin – „Frauen in der Wehrmacht 1939-1945“
© 2021 Motorbuch Verlag, 240 Seiten, gebunden, 27 x 23 cm - ISBN: 9783613043770
29,90 €
 
Weitere Informationen: www.motorbuch.de