Nachdenken über Grillparzer (1)

von Renate Wagner

Franz Grillparzer 1841 - Joseph Kriehuber pinx
Nachdenken über Grillparzer (1)
 
Von Renate Wagner
 
Es ist mir im Laufe meines Lebens geglückt, Biographien über Arthur Schnitzler, Ferdinand Raimund und Johann Nestroy zu schreiben, aber daneben hat mich Franz Grillparzer mit seinem Werk immer begleitet.
Und das Bedürfnis, mich ihm biographisch zu nähern, ist ungebrochen und geht schon auf meine Jugend zurück. Immer hat mich der Mensch Grillparzer interessiert. Bereits in meinen Teenager-Jahren fiel mir die Biographie von Josef Nadler, die ich in der Bibliothek meines Vaters fand, in die Hände. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten las ich alles, was ich Biographisches im Buchhandel fand – was gar nicht so besonders viel war. Der wieder aufgelegte Auernheimer, die Rowohlt-Monographie, und 1990 gab es dann natürlich als wichtigsten Beitrag Politzer, dann auch Humbert Fink.
Dann fing ich an, nach alten Biographien zu suchen und, ZVAB sei Dank, ich fand eine Menge. Dank übrigens auch an Amazon, die als Book on Demand den alten Laube, den alten Frankl nachdrucken: Man hat zwar dann kein schönes, altes, nach Staub riechendes Buch in der Hand, wohl aber den Text, den man sucht.
Eine neue Biographie zu verfassen, kann allerdings nicht bedeuten, sich die alten herzunehmen und sie ab- oder umzuschreiben.
Nachdenken, wie man eine Biographie angeht, heißt, sich der tausendenfachen Wege, der schier grenzenlosen Zugänge bewußt zu sein, die man zu einem Thema nehmen kann.
Dazu steht man im Falle von Grillparzer vor einer nicht zu bewältigenden Sekundärliteratur, die hauptsächlich das Werk und Einzelaspekte interpretiert. Wenn man wirklich alle Anmerkungen der Germanistik vor allem, der Theaterwissenschaft auch, der Soziologie und Geschichte lesen wollte, die zu den einzelnen Grillparzer-Werken verfasst wurden – man wäre Jahrzehnte über den eigenen Tod hinaus beschäftigt, wobei auch Sonderthemen immer wieder gedreht und gewendet werden.
Eine persönliche Geschichte dazu – daß ich nämlich einmal aus einer Germanistik-Vorlesung des von mir über alle Maßen geschätzten Professor Herbert Seidler hinausgegangen, ja, hinaus gelaufen bin, als er nicht aufhören wollte, die „und“ in einem Hofmannsthal-Gedicht zu zählen.
„Das kann es wohl nicht sein“, dachte ich damals – aber ich war ohnedies immer eine begeisterte Tochter der Theaterwissenschaft und eine sehr kritische Tochter der Germanistik.
Aber wenn ich nun, mit aller gebührenden Bewunderung, „Grillparzers dramatischer Stil“ von Joachim Kaiser lese und er ähnlich ausführliche Überlegungen zum Gedankenstrich bei Grillparzer anstellt – dann weiß ich natürlich, daß er von seinem Standpunkt aus recht hat und daß dies legitime Überlegungen der Germanistik sind. Tatsächlich aber bedeutet es in meinen Augen auch, to know more and more about less and less, und das könnte dann Wissenschaft bedeuten, die nur noch für sich selbst besteht.
Für den Biographen verfängt das nicht, damit kann man sich für die Lebensgeschichte gar nicht abgeben. Nachdenken heißt also auch auswählen und entscheiden und manche Spezifizierung beiseite zu lassen. Selektieren, überlegen, was für das, was man sagen, berichten und darstellen will, relevant ist und was nicht.
Detaillierte Werkinterpretation nach mannigfaltigen Gesichtspunkten sind folglich, meiner Meinung nach, nur sekundär die Aufgabe des Biographen.
Natürlich: Ohne Werk kein Dichter – aber geht es nicht vor allem darum, den Zusammenhang zwischen Leben und Werk möglichst klar herauszuarbeiten, was meines Erachtens eine der spannendsten Herausforderungen beim Biographieschreiben ist?
Warum, muß man sich fragen, verfasst ein ganz bestimmter Mensch zu einer ganz bestimmten Zeit, möglicherweise auch noch überlegt: warum an diesem ganz bestimmten Ort ein ganz bestimmtes Werk, das nur ihm gehört, nur durch ihn möglich ist?
Das dann mit ihm in die Welt tritt und für immer dorthin gehört – wenn es denn Werke sind wie jene Grillparzers, an deren Wert und Bestand wir nicht zweifeln.
Wurde das nicht alles schon dargestellt? Ja und nein.
Und auch nicht hier und jetzt.
Denn Grillparzer ist uns in der Gegenwart als Gegenstand des Interesses weitgehend verloren gegangen.
Das beweisen Ihnen nicht zuletzt die Bühnenspielpläne. Das Burgtheater hat zuletzt 2013 eine veräppelnde Parodie der „Ahnfrau“ gespielt.
Die Zeiten der großen Auseinandersetzungen mit seinem Werk liegen weit zurück – der legendäre Burgtheaer-„Bruderzwist“ mit Attila Hörbiger war in den sechziger Jahren, 1980 versuchte Leopold Lindtberg das Stück noch einmal mit Romuald Pekny – seither war dieses Schlüsselstück des Österreichischen in Wien nicht mehr zu sehen.
Sie wissen schon –
Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben…
Das gibt eine weitere Antwort darauf, warum es eine neue Biographie geben sollte, auch wenn von den Fakten her möglicherweise alles zusammen getragen und alles gesagt ist.
Denn auch Dichter unterliegen dem „Zeitgeist“ der Nachwelt.
Wo sind die Zeiten, als man Grillparzer bei jeder Gelegenheit als nationale Referenz des Österreichischen herangezogen hat, als die erste Burgtheater-Vorstellung nach dem Zweiten Weltkrieg, damals noch im Ronacher, selbstverständlich der „Sappho“ galt, als man das wieder aufgebaute Haus 1955 nicht mit Goethe, wie zuerst überlegt wurde, sondern mit „König Ottokars Glück und Ende“ eröffnete? Mit dem, wie man es damals noch empfand, „Nationaldichter“. Der natürlich auch zur „Repräsentation“ herangezogen wurde.

Aber heute?

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