Sehnsuchtsorte

Gavin Francis – „Inseln“

von Robert Sernatini

Sehnsuchtsorte
 
„Entfernung kann ein wichtiger Faktor
für Träume sein…“
 
Als Junge habe ich wie viele den romantischen Traum gehabt, als Moses auf Viermastern die Welt zu umsegeln und all die paradiesischen und geheimnisumwitterten Inseln zu sehen, von denen meine Abenteuerbücher und Sagensammlungen mir erzählten. Daß viele dieser fernen Eilande nur der Phantasie von Eroberern, Schriftstellern, Reisenden, betrunkenen Seeleuten oder schlicht und einfach Schwindlern entsprungen waren, kam mir natürlich nie in den Sinn. An solche exotischen Ziele zu glauben, war schließlich Teil der Träume einer Jugend.
Später, aufgeklärter, hatte man gelernt, daß Atlantis und Thule, Lemuria, Terra Nova und die Inseln der Seligen nichts weiter waren als geographische Schimären – wenn auch nach wie vor spannend und nach Abenteuer duftend. Dann aber entdeckte man auf den Reisen mit dem Finger auf dem Globus die wirklichen, kaum weniger aufregenden Inselwelten rund um den Erdball, in den Weiten der Meere, den Wüsten der Ozeane – Orte der Sehnsucht nach Ferne und Freiheit, Abenteuer und Exotik. Wie einst Magellan und Pigafetta, James Cook und Zheng He um die Welt zu segeln, wie Thor Heyerdahl den Spuren Túpac Yupanqus zu folgen wurde zum neuen Traum.
 
Mit der Lektüre von Francis Gavins Buch „Inseln – Die Kartierung einer Sehnsucht“ wird die ungeheure Faszination wieder lebendig, die damals von diesen Traumreisen ausging, und man spürt eine tiefe Verbundenheit mit dem Autor, der sich auf eigene Lese-Erfahrungen und Reisen zu Inseln in aller Welt stützt. Mit Zitaten von Reisenden wie Charles Darwin oder George Shelvocke und Romanciers wie Jean-Jacques Rousseau, Herman Melville, W.B. Yeats, Robert Browning, Daniel Defoe oder Robert Louis Stevenson und zahlreichen historischen Landkarten angereichert hat Gavin ein buntes Kaleidoskop von Insel-Erlebnissen und Beschreibungen von Eilanden zusammengestellt, das keiner Chronologie folgt, sondern thematischen Zuordnungen. So gibt es Kapitel über Inseln der Seligen, über Frieden & Gefangenschaft, über Schatzinseln und über Bücher, die einsame Inseln beschreiben. Er erzählt von Gefängnisinseln wie die Andamanen, Alcatraz, Rikers Island oder die Ile d´If, von Insel-Refugien wie Athos, die Marquesas oder den Lofoten, und er läßt die Verlorenheit des Menschen in der Einsamkeit des Meeres wie z.B. auf den Falkland-Inseln miterleben.
 
„Entfernung kann ein wichtiger Faktor für Träume sein…“ zitiert Gavin eine Holländerin aus dem Gästebuch eines Hostels auf den Färöer-Inseln. Genauer kann man es wohl kaum beschreiben.
Man muß sich auf dieses Buch einlassen, in dem der Autor die Kapitel überspannende Gedankenfäden zieht. Man kann nicht nach Namen, Stichworten, Gegenden der Erde oder eben bestimmten Inseln suchen. Ein Index dazu fehlt bedauerlicherweise vollständig. Da hält Gavin Francis es wie sein Kollege Malachy Tallack in „Von Inseln, die keiner je fand“. Das ist der einzige Wermutstropfen. Im Übrigen aber ist das Buch ein neues Abenteuer für abenteuerlustige Leser.
 
Gavin Francis – „Inseln“
Die Kartierung der Sehnsucht
Aus dem Englischen von Sofia Blind
© 2021 Dumont Buchverlag, 256 Seiten, geprägter Festeinband, Lesebändchen, 80 farbige Abbildungen – ISBN: 978-3-8321-9989-0
28,- €
 
Weitere Informationen: www.dumont-buchverlag.de
 
Literaturtips zum Thema:
„Verrückt nach Karten“ – Huw Lewis-Jones (Hrsg.) - Geniale Geschichten von fantastischen Ländern (The Writer´s Map)
Judith Schalansky – „Taschenatlas der abgelegenen Inseln. Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde“