Ein unbändiger Appetit auf Musik

Colin Pütz - der junge Beethoven am Sedansberg

von Johannes Vesper

Colin Pütz in "Louis" - Foto © ARD Degeto WDR ORF Eikon Media

Ein unbändiger Appetit auf Musik
 
Colin Pütz - der junge Beethoven am Sedansberg
 
Beethoven hatte keine einfache Kindheit. Die Urgroßmutter wurde als Hexe verbrannt, den Großvater liebte und bewunderte er, die Mutter sowie die einzige Schwester verlor er früh und der alkoholkranke Vater wollte ihn zum Wunderkind á la Wolfgang Amadeus triezen, wahrscheinlich zu einem „Hund namens Beethoven“ drillen. Mit elf Jahren spielte Ludwig im Tanzorchester des Vaters, mit 13 als Organist in der Bonner Hofkirche. Zu seinem 250. Geburtstag wurde 2020 groß gefeiert und sein Leben verfilmt. So war Ludwig als Kind im Dezember 2020 in der ARD zu sehen. Wer spielt im Film den jungen Ludwig van und zaubert seine Konzerte aus dem Flügel? Das ist der 13-jährige Colin Pütz.
 
Mit 4 Jahren begann es
 
Im (Video-)Gespräch erzählt er frei und locker, wie er mit etwa vier Jahren von sich aus angefangen habe, auf dem Xylophon Töne zusammenzusuchen und auf einem Acht-Ton-Kinderspielkeyboard aus Plastik zu klimpern. Die Eltern, die selbst keine Musik machen, begriffen schnell, daß der kleine Colin mit einem Klavier sehr glücklich werden könnte. Nach E-Piano und Klavier bekam er als Achtjähriger einen Yamaha-Flügel und war fasziniert – nach dem Motto: Was ist das für ein schwarzes Tier, das Klavier? Das interessierte auch schon seine jetzige Lehrerin in diesem Alter. Dazu aber später.
Colins erste Klavierlehrerin, Elena Heyroth, die bei seinem Talent kaum hinterherkam, stellte ihn an der Musikhochschule Köln, der größten Europas, vor, wo die Pianistin Florence Millet, seit 1998 Professorin an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal, ihn als Privatschüler übernahm und die Aufnahme ins Pre-College Cologne, das Förderzentrum für musikalisch Hochbegabte bis zum zehnten Lebensjahr, vorbereitete. Seitdem unterrichtet sie Colin Pütz zusammen mit ihrer Assistentin Emeline Archambault.
 

Colin Pütz, Florence Millet - Foto © Karl-Heinz Krauskopf Fitschgetau Recording

Viele Preise, viele Konzerte
 
Seine Eltern unterstützen und helfen ihm bei seinen zahlreichen Aktivitäten. Wettbewerbe, Proben, Klavierstunden, Konzerte erfordern echtes Zeit- und Transportmanagement. Erfolge bleiben nicht aus: 2015 bis 2017 spielte er beim Beethovenfest in Bonn, gewann außerdem 1. Preise in regionalen und internationalen Wettbewerben. Nach seinem Debüt mit Orchester 2017 in Leverkusen konzertierte er inzwischen beispielsweise mit der Neuen Philharmonie Westfalen und dem Beethoven Orchester Bonn, zuletzt im März 2021 mit dem WDR-Sinfonieorchester unter der Leitung des Chefdirigenten Cristian Mācelaru in der Kölner Philharmonie. Am 15. August wird Colin Pütz in Schloß Miel in Swisttal mit dem Bonner Beethovenorchester das 1. Klavierkonzert von Beethoven spielen.
 
Üben frühmorgens
 
Über seinen Tagesablauf sagt der 13jährige: „Morgens gegen 5.50 Uhr stehe ich auf und übe bis gegen 7.50 Uhr Klavier, zunächst für etwa zehn Minuten Tonleitern, gebrochene Dreiklänge über die ganze Klaviatur, durch alle Tonarten hindurch, rauf und runter: C-Dur, Cis-Dur-D-Dur-Dis-Dur und so weiter. Dann das ganze in Moll und alles natürlich schnell, sehr schnell.“ Anschließend werden die Stücke geübt, die er mit der Lehrerin erarbeitet hat. Das ist zu der frühen Zeit mit dem Yamaha-Silent-Flügel möglich, dessen Lautstärke über die Boxen der Stereoanlage reduziert werden kann.
 
Fahrrad, Fußball, Schule
 
Und wie geht der Tag weiter? Nach dem Frühstück fährt Colin Pütz mit dem Fahrrad die drei Kilometer zum bilingualen Lessing-Gymnasium in Köln-Zündorf. Natürlich wird dort in den Pausen auch gebolzt wie zu Hause mit dem Vater. Colin sagt: „Die Schule fällt mir leicht und mit meinen Kumpeln in der Klasse komme ich gut klar.“ Nachmittags zu Hause nach den Hausaufgaben erforscht und entdeckt der junge Musiker sozusagen zum Vergnügen unbekannte Klavierstücke und Konzerte – spielt sie parallel zu YouTube-Aufnahmen ab und dirigiert auch das auf der Aufnahme begleitende Orchester. Bei Beethoven sind es „die dramatischen Stimmungsschwankungen“, die ihm besonders gefallen: „Meine Improvisationen habe ich leider bisher nicht aufgeschrieben, aber schon eine eigene Kadenz zu Beethovens Rondo WoO 6 komponiert und im Konzert gespielt.“
 
Aktuell bereitet Colin Pütz sich mit Schumanns Abegg-Variationen und der Pathétique auf die „International Schumann-Competition Düsseldorf For Young Pianists” aus der ganzen Welt vor und hofft als einer der drei Besten für das Finale im September ausgewählt zu werden. Außerdem steht „Jugend musiziert“ an, wo er mit seinem Geigenpartner Raphael Gisbertz Beethoven, Szymanowsky und Schumann-Duos spielen wird.
 
Der junge Beethoven

© ARD Degeto WDR ORF Eikon Media Dusan Martincek
 
Und wie ist er zum Film gekommen? Die Macher des deutsch-österreichisch-tschechischen Fernsehfilms „Louis van Beethoven“ aus dem Jahr 2020 mit Tobias Moretti, Anselm Bresgott und Colin Pütz als Ludwig van Beethoven in verschiedenen Lebensaltern haben im Kölner Pre-College angefragt. Auf Empfehlung der Leiterin und seiner Professorin Florence Millet wurde der Junge zum Casting nach Berlin eingeladen: Dafür hat er nach Drehbuch und mit ein wenig Schauspielunterricht seine etwa sieben Minuten lange Hauptszene gelernt und dann auswendig – „durchaus mit Lampenfieber“ – vorgespielt. „Lampenfieber habe ich übrigens immer auch bei meinen Auftritten am Klavier“, gibt Colin Pütz ganz ehrlich zu. Und: „Besonders toll fand ich die Filmszene im historischen Theater von seinerzeit Ludwig van Beethoven im Bonner Hoftheater.
 
Kann er sich eine Karriere als Pianist vorstellen? „Klar, wenn ich die Lust am Klavier nicht verliere.“ Aber die Gefahr besteht wohl kaum … Florence Millet findet der Schüler – trotz gelegentlicher Kritik – „sehr nett“. Gerne folge er ihren musikalischen Anregungen.
 
Seine Lehrerin wollte mit fünf Jahren schon Musikerin, dazu auch im Alter von zwölf Chirurgin werden, hat dann aber doch ab dem 14. Lebensjahr lieber Klavier am Pariser Konservatorium und an der State University New York studiert. Das Gespräch läuft virtuell, während Florence Millet im TGV auf ihrem Heimweg nach Paris sitzt. Sie hat mit Pianisten wie Paul-Badura-Skoda, Leon Fleisher oder Peter Serkin zusammengearbeitet. Swjatoslaw Richter, der große Hohepriester und Magier des Klaviers, hat sie sehr beeindruckt – und von Martha Argerich mit ihrem Feuer läßt sie sich noch heute inspirieren, berichtet sie in lebhaftem und offenem Gespräch auf Deutsch. Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Franzose, sie selbst wurde in Brüssel geboren.
 
Das Klavierstudium hat Florence Millet im Alter von 18 Jahren mit dem Konzertexamen in Paris beendet, dann Master und Doctoral Degree in Music and Performance bei Gilbert Kalish in New York hinzugefügt. Sie konzertiert als Kammermusikerin seit inzwischen mehr als 30 Jahren im Lions Gate (Klavier-)Trio. Als Solistin hat sie zuletzt 2019 mit dem WDR-Sinfonieorchester und 2020 mit dem Sinfonieorchester Wuppertal gespielt. Natürlich gilt ihr Interesse auch der zeitgenössischen Musik: Sie arbeitet bis heute gerne zusammen mit Steve Reich, Jörg Widmann sowie früher schon mit Luciano Berio und Hans Werner Henze. „Der Einsamkeit der Solistin auf Tourneen“ sei sie, wie sie sagt, als Professorin für Klavier entkommen – und „sehr glücklich, als promovierte Hochschullehrerin junge begabte Menschen zu unterrichten“.
 

Colin Pütz beim Konzert mit WDR SInfonieorchester - Foto © Karl-Heinz Krauskopf Fitschgetau Recording

Über die Finger aufs Klavier und in die Ohren
 
An Colin Pütz beeindruckt Florence Millet besonders sein unbändiger Appetit auf Musik: Seine Fähigkeit, auch eigentlich noch zu schwierige Stücke bis hin zu Liszt- und Rachmaninow-Konzerten zu lesen und hochinspiriert sofort über die Finger aufs Klavier und in die Ohren zu bringen, findet sie „genial“. Florence Millet begleitet Colin aber nicht nur bezüglich seiner musikalischen Entwicklung: Neben Wettbewerben und Konzerten soll er eine normale Entwicklung als Kind und Jugendlicher durchlaufen und sich erst auf eine Karriere mit allen ihren Problemen stürzen, wenn er alt genug dazu ist, sie selbst zu wollen.
Aus Dankbarkeit für ihren von Kriegstraumata ungetrübtem Lebenslauf hat Florence ein besonderes Interesse auch für vergessene und verfemte Komponisten: So entdeckte sie beispielsweise Wolfgang Fränkel, der aus Nazi-Deutschland nach Shanghai fliehen mußte, den einzigen Ort, für den damals keine Einreisepapiere nötig waren. Colin Pütz studiert aktuell dessen schwierige Variationen über ein Thema von Arnold Schönberg ein. Dank der Lichterfeld Stiftung und Deutschen Bank Stiftung, wird es auf deren Video-Podcast-Kanal erscheinen.
 
Jede Woche nach Wuppertal und Köln
 
Die erfahrene Hochschulpädagogin, die inzwischen – als Nachfolgerin von Lutz-Werner Hesse – Direktorin des Wuppertaler Standortes der Kölner Hochschule für Musik ist, wohnt zwar in Paris, kommt aber wöchentlich nach Wuppertal, um Colin Pütz aus Bonn zu unterrichten, der hier immer wieder zu hören war: So etwa auch beim Hochschulkonzert im Großen Saal der Historischen Stadthalle auf dem Johannisberg. Wer hätte das gedacht, daß der junge Louis van Beethoven aus Bonn inzwischen am Sedansberg in Barmen Klavier studiert!
 

 © 2021 Johannes Vesper für die Musenblätter
Fotos: Karl-Heinz Krauskopf