Die Stille die Stille macht nie kille kille

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Die Stille die Stille
macht nie kille kille
 
Ich brachte kürzlich mein Auto zur Inspektion und bekam sofort in Reihe A einen Parkplatz. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. „Es ist überall so ruhig“, erklärte mir Herr Schniedertüns. „Der Januar ist ein stiller Monat. Alles ruht, alles schweigt, alles ist in sich gekehrt.“ Das kann zu Verständigungsschwierigkeiten führen. „Erst wollen die Eltern, daß man still ist und wenn man dann still ist, holen sie ein Fieberthermometer.“ Wenn ich mal wirklich Stille suche, dann gehe ich auf´n Friedhof, da ist es wirklich still. Da sind dann mal keine Motorradfahrer, wenigstens nicht die Lebenden. Da sind dann nur die golfspielenden Senioren, wegen der großen Löcher. „Die Stille, die Stille macht nie Kille Kille und hörst du sie schwach, dann ist es schon Krach.“ Auch die Geräusche brauchen ein Zuhause. Unter jedem Dach ein Ach. Unter jedem Hof ein Doof. Was soll der Baulärm im Urlaub? Ich höre ja auch nicht Rockmusik beim Angeln, außer ich will einen Hai ködern. Paßt das traurige Weinen in eine Hochzeitsnacht? Wer vermißt schon das letzte Röcheln der nicht entkalkten Kaffeemaschine? Stellen sie sich Free Jazz Musik auf unserem Schützenfest vor. Die bringen sich doch gegenseitig um. „Als es Gott auf der Erde zu still war, erschuf er die Frau.“ Auch die Stille nach einem solchen Scherz ist atemberaubend.

       Es ist schon sonderbar, was man für Geräusche macht, wenn man denkt, es hört einem keiner zu. Gestern habe ich beim Ausfüllen der Steuerklärung immer „Mama, Mama“ gerufen, aber es hat geholfen. „Ab 80 dezibel sollte man einen Gehörschutz tragen!“ „Was?“ „Ich sagte gerade: Ab 80 dezibel sollte man einen Gehörschutz tragen!“ Der Berliner Apotheker Maximilian Negwer entwickelte 1907 einen Ohrenstöpsel und nannte ihn Ohropax. Ich las dann später, daß er mit einer sehr streitsüchtigen Frau verheiratet gewesen war. Was für mich die Stille ist? Paderborn ohne Libori. Der Haxtergrund mit einem geschlossenen Gasthof Weyher. Der Dom ohne Glockenklang. Eine Schule im Lockdown. Der Neujahresgruß des Bürgermeisters im Internet, und ich habe den Ton weggedreht. Mein Wachhund ohne Einbrecher. Das Warten auf den herausspringenden Toast. Man steht unter der Dusche und das Wasser kommt nicht, obwohl man es angedreht hat. Das Schweigen der Frau, wenn man wieder vergessen hat, den neuen DOM von Tabak Berens mitzubringen. Der Golfplatz ohne Golfspieler. Das Amalthea ohne Publikum. Die Welt ohne Gott.
 
       Wenn ich mal wirklich Stille suche, dann schiebe ich eine Heavy Metall CD in meinen CD-Player und drehe den Lautstärkeregler auf Null. Das, was man dann hört, ist die Stille. Im Gegensatz zum Auge fehlt dem Ohr das Lid. Das Ohr hört immer zu, auch wenn nichts gesagt wird. Auch nach dem letzten Atemzug bleiben wir hörend mit der Welt verbunden, weil das Ohr die Schallwellen noch eine zeitlang aufnimmt. Welch einmalige Gelegenheit für eine schon lange fällige Abrechnung. „Was du im Leben nicht gekonnt hast, daß mußt du nun tun: Zuhören.“
 
Erklärungen für Nicht-Paderborner:
 
Herr Schniedertüns – Kundenbetreuer bei VW Thiel Paderborn
Der DOM – Paderborner Monatsmagazin mit religiösen Themen
Der Haxtergrund – Paderborner Naherholungsgebiet
Tabak Berens – Bekannter und beliebter Paderborner Tabakhändler
Amalthea – Das kleinste Theater in NRW
 
 
© 2021 Erwin Grosche