Versunkene Plastikwelt

Margarinefigürchen - Beim Einkaufen gab´s in den 50er Jahren Extras für Kinder

von Frank Becker

Foto © Peter Konrad

Versunkene Plastikwelt
 
Margarinefigürchen
Beim Einkaufen gab´s in den 50er Jahren Extras für Kinder
 
Als nach dem Krieg Spielzeug rar und teuer war, entdeckten im Deutschland des aufblühenden Wirtschaftwunders gewitzte Hersteller von Artikeln des täglichen Konsums Kinder als Zielgruppe ihrer Werbung. Die Macher gingen raffiniert vor, indem sie dem Kaffee-Ersatz, dem Haferflockenpäckchen, der Mehltüte, der Schuhcreme, vor allem aber dem Margarinepaket, auch Würfelbutter genannt, eine zierliche kleine Figur aus weißem Spritzguß-Plastik beilegten. „Für Mutti Frauenlob oder Feine Remo - für Dich diese schöne Eisenbahn“ lockte die Verpackung. Auch was Vati rauchte, hing mitunter davon ab, welches Figürchen oder welche Serie es wohl für die Kleinen dazu gab.
Der Margarine-Hersteller Fritz Homann kam als erster auf die aus Kindersicht fabelhafte Idee, seiner „Fri-Homa“ kleine Spielzeug-Figuren gratis beizulegen. Den passenden Geschäftspartner fand er in Richard Sieper, Inhaber des Kunststoff verarbeitenden Betriebes Siku, der schon seit Ende der 30er Jahre die neue Kunststoff-Spritztechnik zur Massenproduktion von Kleinteilen nutzte. Siku wurde später übrigens der Markenname für eine der schönsten deutschen Kunststoff-Modellauto-Reihen, aber das ist eine andere Geschichte.
 

Foto © Frank Becker

Exotische Tiere, Märchenfiguren, Indianer und Cowboys oder Segelschiffe spielten eine Rolle als Margarine-Werbeträger. Die Arche Noah, Automodelle, Volkstrachten, Fußballspieler und Zwerge lagen in der Verpackung und harrten ihrer Bestimmung. Und die konnte doch nur sein, in die Hände eines Kindes zu gelangen, das schon sehnsüchtig darauf wartete, daß Mutti mal wieder zum Einkaufen ging. Denn nur auf dem Umweg über Zucker oder andere Lebensmittel hatte der Nachwuchs eine Chance, an den begehrten Elefanten, das Rhinozeros, die Giraffe oder das Dromedar zu kommen. Bald bauten sich in Kinderzimmern und auf Küchentischen ganze Zoos, tropische Wälder mit Bäumen und Tieren, Rummelplätze mit drehbaren Karussells und umzäunte Bauernhöfe auf. Eisenbahnzüge konnten zusammengestellt werden und Flottillen schwimmtauglicher Plastikschiffchen dümpelten in Badewannen. Andere Branchen wie zum Beispiel die Tabakindustrie und Schuhpflege entdeckten die kleinen wirksamen Werbeträger ebenfalls für sich.
 

Carola Höhn wirbt für Edeka Sonne - Screenshot aus „Rendezvous unterm Nierentisch“, Tacker Film

Verbürgt ist die Geschichte eines Fünfjährigen, dem 1952 abgezähltes Geld in die Hand gedrückt wurde, mit dem er beim Kolonialwarenhändler um die Ecke ein halbes Pfund gute Butter kaufen sollte. Zurück kam er mit Margarine der Marke „Ei-fein“, ein wenig übrig gebliebenem Kleingeld und einem Krokodil aus weißem Spritzguß in der verschwitzten kleinen Hand. Die Neigung war stärker als der Gehorsam. Dem Argument: „Aber Mutti, es gab doch bei der Butter kein Figürchen dazu!“ wurde mit strenger Miene, aber innerem Schmunzeln Rechnung getragen. Zwei Etagen höher wohnte die vierjährige Uta, deren Vater sich abends nach der Arbeit hinsetzte und der winzigen Welt der Kinder mit Haarpinsel und Farben Leben einhauchte. Zu ihr hoch schleppte der Steppke seine Schachtel mit Margarine-Figürchen, und die beiden konnten stundenlang versunken damit spielen.
Die mageren Jahre und die Schachtel sind längst Vergangenheit. Aber das Krokodil wird wie die berühmten drei Affen von Hans Prang bis heute gehütet, und die Welt im Kleinen existiert weiter - in Sammlungen.
 

Krokodil von Ei-fein - Foto © Frank Becker

Geschätzt über 20.000 verschiedene Stücke in ca. 148 Serien kamen damals von Marken wie „Elbgau“, „Ei wie fein“, „Die feine Remo“, „Edeka Sonne“, „Hamker“, „Rewe Juwel“, „Hans Prang“, „Effka“, „Stullengold“, „Sanella“ oder eben „Fri-Homa“ und etlichen anderen mehr auf den Markt. Für Zeitzeugen und Sammler sind zerbrechlichen Figuren einerseits Kindheitserinnerung und andererseits Dokumente des Wiederaufbaus der 50er Jahre. Da werden aus gestandenen Männern lauter kleine Jungen mit glühenden Wangen, die dann der Welt entrückt von dem preiswerten Vergnügen aus Kindertagen schwärmen. Die enormen Kosten für die Herstellung und Verteilung der später zum Teil farbigen Figuren überstiegen irgendwann den Nutzen. 1956 endete die Zeit dieser legendären kleinen Dinger, die sich wohl in jeder Spielzeugkiste jener Zeit fanden.
 

Foto © Frank Becker

Peter Konrad, Zeitzeuge, Kenner und Sammler hat eine Zeitlang wohl eine der größten Sammlungen sein eigen nennen können, was ihn in den 80er Jahren dazu berachte, seine Schätze mit System zu ordnen. Schließlich fotografierte er jedes einzelne Stück und gab einen Katalog heraus, der 1988 erstmals erschien und auf 352 Seiten alles bis dahin Bekannte aus dem Bereich „Margarine- und andere Werbefigürchen aus den Fünfziger Jahren“ versammelte und bewertete. Der im Selbstverlag herausgegebene Band auf Kunstdruckpapier deckte beim Verkauf für 45 Mark gerade die Kosten und fand so viele Freunde, daß die kleine Auflage schnell von Sammlern aufgekauft war. Von Auflage zu Auflage immer sorgfältiger, aufwendiger und umfangreicher gestaltet und schließlich digital farbig fotografiert, wurde die 5. Auflage für Konrad der Schlußakkord des Themas. Auf 440 Seiten im A4-Format zeigten über 5000 Abbildungen eine Kunststoff-Welt, die vor nun 65 Jahren für viele Kinder so unendlich wichtig war. Die 100 Stück dieser letzten Auflage sind trotz des gerade mal die Kosten deckenden Preises von je 110 Euro restlos vergriffen – es war eben ein Standard- und Referenzwerk mit echten Raritäten wie Palmen und Düsenjägern, Hirschen und Krippenspiel, Bauernhof und Schlachtfest, Zootieren und Dinosauriern, Kutschen und Schiffschaukeln, Sportskanonen und Handwerkern, Windjammern und Märchenszenen.
 
 
Foto © Frank Becker

Ich danke Peter Konrad für wertvolle Hinweise und die Abbildungen seines Kataloges und des FriHoma-Spielplans. Außerdem geht mein Dank an Wolfgang Dresler von Tacker Film für das Foto aus seinem Film „Rendezvous unter dem Nierentisch“.