Überholspur

Nicola Förg – „Böse Häuser“

von Frank Becker

Überholspur
 
Irmi Mangold trifft Gerhard Weinzirl
 
Der April ist wie das Leben -
eine Ansammlung trügerischer Hoffnungen.
Nicola Förg
 
Wohnungssuche kann tödlich sein! Während die Garmischer Hauptkommissarin Irmi Mangold und ihr Hase rein privat einen Einzelhof im Ostallgäu zum möglichen Kauf besichtigen, wird ein anderer Kaufinteressent direkt neben ihnen durchs Fenster erschossen. Der Tote: Unger, Besitzer eines Autohauses für Nobelkarossen. Der Makler Kluge: ein Geschäftsmann mit eigener Moral. Der Hausbesitzer Bach: ein zugeknöpfter Biobauer mit etwas rätselhafter Vergangenheit. Irmi und der zuständige leitende Ermittler Gerhard Weinzirl, der sie um kollegiale Unterstützung bittet, stoßen auf ein zunächst schier undurchdringliches Geflecht von Fäden, die aus vielen Gründen und aus entferntesten Gegenden im Allgäu zusammenlaufen – und nach und nach kristallisiert sich auch eine große Zahl möglicher Verdächtiger, verstockter Zeugen und merkwürdiger Zusammenhänge heraus. Um den gordischen Knoten aufzulösen eilen Irmis Garmischer Kollegen zu Hilfe, weil Weinzirl augenblicklich allein in verwaister Dienststelle ist und zeigen sich gemeinsam als Dreamteam. Besonders Kathi legt sich ins Zeug, nachdem sie tief in Weinzirls Augen geblickt hat.

       Als sich der Verdacht ergibt, daß vielleicht ein anderer als der Autohausbesitzer das Opfer hätte sein sollen und Zweifel an Bachs Identität aufkommen, wird das Ganze noch ein Stück komplizierter. Die Spuren führen in die Vergangenheit, bis zurück in die Zeit der Flucht aus Ostpreußen im letzten Kriegsjahr 1945 und das damit verbundene Elend, nach Schleswig-Holstein in den Wohlstads-70ern, zu beklommenen Transitreisen durch die DDR und ins Berlin der Nachwendezeit – und sie weisen sogar nach Kanada und Guatemala. Mitunter ist nicht mehr sicher, wer eigentlich wer ist, bis sich Handlungsorte und -fäden zu einem Bild verdichten. Nicola Förg erweist sich als Meisterin unterhaltsamer informativer Abschweifungen, ohne je die Richtung aus dem Blick zu verlieren. Sie legt raffiniert falsche Spuren, hält den Leser mal an langer, mal an kurzer Leine und entwickelt dafür ein großartiges Personal, vor allem ein harmonisches Ermittler-Team, das dem aktuellen „Tatort“- und TV-Krimi-Trend entgegen nicht aus nahezu durchweg gefährlich sozial gestörten und grundsätzlich befehlsverweigernden unkommunikativen Psycho-Wracks besteht, sondern aus sympathischen, klugen, ganz normalen Menschen. Das tut dem Leser wohl.

       Nicola Förg hat die während der Arbeit am Buch die sich ankündigende Corona-Seuche, ihre globalen Gründe und die Warnung vor der völligen Vernetzung der Welt, die ja ursächlich für die schnelle Verbreitung des tödlichen Virus ist, ebenso mit in ihren Roman aufgenommen wie das immer schneller werdende Leben auf der Überholspur, die überlastete, unfähige und vor allem schwache Justiz, den herbeispekulierten Immobilien-Boom und die spür- und sichtbaren Folgen der bereits eingetretenen Klimaveränderung mit ihren Extremwetterlagen. Zuviel für einen Krimi? Keineswegs, denn gerade heute ist man als Leser für kurzweilige, gute Unterhaltung dankbar. Zumal, wenn sich ein Kriminalfall nach vielen geschickten  Wendungen so vielschichtig auflöst wie dieser. Irmi Mangold und Gerhard Weinzirl geben ein gutes Gespann ab, und man sollte sich nicht wundern, wenn Ostallgäu und Oberbayern gelegentlich wieder gemeinsam ermitteln. Und daß unsere Irmi, ihr Hase Fridtjof, die Kathi und Weinzirl am Ende besonders zufrieden auf ihr Leben schauen können, tut dem Leser auch wohl, denn wann bräuchte man dringender Streicheleinheiten als jetzt? Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Nicola Förg – „Böse Häuser“
Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis 12)
© 2021 Piper Verlag, 315 Seiten, Klappenbroschur (Innenklappen beachten) – ISBN: 978-3-86612-497-4
16,- (D); 16,50 € (AT)
 
Weitere Informationen: www.piper.de