Trost bei Musikferne

Das literarische Orchester - Geschichten und Gedichte

von Johannes Vesper

Trost bei Musikferne:

Das literarische Orchester
 
In Corona-Zeiten dürfen Orchester nicht spielen. Das schreibt der Infektionsschutz vor, obwohl sich die Salzburger Festspiele wie in speziellen Untersuchungen auch die Konzerthäuser in Dortmund und Halle nicht als Hotspots erwiesen haben. Trotzdem aber sind Konzertbesuche aktuell vorsichtshalber verboten. Digitale Echtzeitübertragungen und Schaufensterkonzerte wollen Ersatz bieten. Es geht aber noch anders. Musikfreundin und -freund sind auf leibhaftige Musik nach dem Erscheinen des kleinen hübschen Bändchens „Das literarische Orchester“ gar nicht mehr angewiesen. Geschichten und Gedichte zur Musik von Alfred Polgar, E.T.A. Hoffmann, Georg Kreisler H.C. Artmann u.a. können vorübergehend über den manifesten Verlust heiliger caecilianischer Freuden mit leibhaftigem Musikerlebnis hinweghelfen, welches sowieso nicht jeder zu schätzen weiß.
Ernst Jandl dichtet frech „Bitte keine Musik“. Texte zur Erotik der Instrumente (Georg Kreisler) bis zu Geruchs-Orgel (Christian Morgenstern) sind nicht jedem geläufig, sodaß auch der Cellospieler aus Thüringen (Carl Zuckmayer) und der Geiger vom Traunsee (Hugo von Hofmannsthal) vorgestellt werden. Wie das Cello im Herzen einer Grille gestrichen wird und mit welchen Konsequenzen für seinen Klang in den Eingeweiden eines Admirals, weiß nur H.C. Artmann, bei dem ja immer schon die Sonne Flügelhorn bläst. Alle Schwierigkeiten des häuslichen Streichquartetts sind dem Kammermusizierenden ständig vor Augen und Ohren, der die Homogenität der Ensembles im Kammermusiksaal neidisch anerkennt.
Manche der Texte hätten schon in der Sammlung musikalischer Schriften des Prof. Kalauer ihren Platz finden können. Alfred Lichtenstein, der 1914 vorausschauend vermutete „Vielleicht bin ich in 13 Tagen tot“ - es hat nur wenig länger gedauert - dichtete damals wohl schon die Coronasituation und ihre Wirkung auf den Konzertsaal erahnend: „Die nackten Stühle horchen sonderbar, beängstigend und still, als gäbe es Gefahr. Nur manche sind mit einem Mensch bedeckt“. Aber hoffentlich nicht mit Heinrich Bölls berühmtem Hustenneurotiker Bertram, der ausschließlich bei den PP-Stellen zu husten beginnt. Bei der Lektüre also wird die Musik eigentlich nicht vermißt, schmerzlich aber der Dirigent, der schmeichelnd „die Violinen lädt zum Tanz und verzweifelt das Blech bittet um Glanz“ (Franz Werfel). Der lesende Musikliebhaber (gleich welchen Geschlechts - das Gendersternchen blockiert heute die Tastatur) - wird mit Vergnügen dieses kleine Bändchen musisch-literarischer Kostbarkeiten zur Hand nehmen, welches von unserer Redaktion mit dem Musenkuß bedacht wird.

Die Geruchs-Orgel

Palmström baut sich eine Geruchs-Orgel,
und spielt drauf v. Korfs Nießwurz-Sonate.

Diese beginnt mit Alpenkräuter-Triolen
und erfreut durch eine Akazien-Arie.

Doch im Scherzo, plötzlich und unerwartet,
zwischen Tuberosen und Eukalyptus,

folgen die drei berühmten Nießwurz-Stellen,
welche der Sonate den Namen geben.

Palmström fällt bei diesen Ha-Cis-Synkopen
jedesmal beinahe vom Sessel, während

Korf daheim, am sichern Schreibtisch sitzend,
Opus hinter Opus aufs Papier wirft …

Christian Morgenstern
 
 
Das literarische Orchester - Geschichten und Gedichte
herausgegeben von Evelyne Polt-Heinzl
© 2021 Philipp Reclam jun. Verlag, 160 Seiten, gebunden im Quart-Format - ISBN: 9783150113301
10,- €

Weitere Informationen: www.reclam.de