Kommt, winzige Nachtgestalten

Katharina Burges – „Stücke meiner Nächte“

von Frank Becker


Kommt, winzige Nachtgestalten
 
Gewaltige Lyrik trifft geniale Interpretin
 
Im Schwarz meiner Hülle fast unsichtbar,
fühle ich die Schneeflocken tanzen
auf dem Mantel meiner Liebe,
der mich wärmen soll.
 
Dieses Album ist das mitreißende Dokument der packenden Begegnung von gewaltiger Lyrik und Elektro-Sounds in kongenialer Vereinigung. Aus dem Lyrik-Band „Und traumlos sind mir Schlaf und Wachen (Gedichte und Bilder)“ ihrer Mutter Ulla Burges hat Katharina Burges elf Gedichte ausgewählt, vertont und ein zwölftes (Hazar Ertu) eingeflochten. Neben dem kompositorisch überwiegend elektrischen Klangkonzept greift Katharina Burges auch zur Violine und spielt Passagen auf dem Klavier, vor allen aber leiht sie den gesprochenen Texten ihre Stimme - was für eine Stimme! Selten hat man das Glück, eine derartig exorbitante, Oktaven überspannende Qualität, Bandbreite, Wandlungsfähigkeit und Modulation hören zu dürfen, die etwa in einer Liga mit der großartigen Ruth Wilhelmine Meyer agiert. Das gurrt und säuselt, flüstert und röhrt, klingt mal markig, mal mit Akzent oder aus der Ferne, voluminös und von starlem Charakter in allen Tonlagen.
 
Ich erlaube mir, hier aus dem gelungenen Label-Text zu zitieren: Auf „Stücke meiner Nächte“ wird, beginnend mit dem Titel „Schwarz“, der erste Ankerpunkt gesetzt, von dem aus die Reise ins Eingemachte geht, in eine Gefühls- und Gedankenwelt, die manch auch erschreckendes Innehalten bewirkt, aber die doch konsequent und liebevoll zu Ende gegangen werden darf.
Das beiliegende, lesens- und betrachtenswerte Beiheft enthält alle Texte, was zum Mit- und Nachlesen anregt, was sich angesichts der in seltener Klarheit die Seele öffnenden Texte unbedingt lohnt. „Schwarz" endet mit „Mein Trost ist mein Mantel / so schwarz und so breit und so dünn. / Unter seine Offenheit / weht mir die Asche des letzten Traums. / Mein Frieren sag ich keinem.“
„Literatur kennt nur zwei Themen. Die Liebe und den Tod. Alles andere ist Mumpitz.“ äußerte sich einst Kritiker Marcel Reich-Ranicki und könnte damit deutlich den Inhalt des vorliegenden Albums beschrieben haben. Denn auf diese Themen läßt sich bei genauer Betrachtungsweise nahezu alles menschliche Denken, Fühlen und Handeln reduzieren.
 
All das transportiert „Stücke meiner Nächte“. Ob es „Wandel“, „Lehrjahre“, „Vergänglichkeit“, „Suche“ heißt oder die packende Instrumental-Fassung von „Geborgte Zeit“ ist, Katharina Burges veredelt jedes Stück mit paßgenauen Klängen und sich immer wieder neu erfindenden stimmlichen Glanzstücken. Es ist ein einziger Rausch in Wort und Ton, mal düster, drohend, mal erotisch, dann wieder zärtlich, sehnsuchtsvoll - doch immer tief unter die Haut gehend. Und ja: Es ist stets nur eine Stimme, die von Katharina Burges, dieser beeindruckenden Künstlerin, an der man sich einfach nicht satthören kann.
„Stücke meiner Nächte“ ist ein künstlerisch perfekt durchkomponiertes, höchst sensitives, dichtes Produkt, ein beinahe subversiv die Sinne ansprechendes Geschenk, das man dankbar und in Bescheidenheit annehmen sollte. Es führt sicher auch Sie, verehrte Hörerin, geschätzter Hörer mit dieser grandiosen Stimme in eine Ihnen sonst nicht zugängliche, traum-hafte Welt. Es ist unsere Schallplatte des Monats und erhält unser Prädikat, den Musenkuß – mit Sternchen!
 
…was ich liebte?
Das Abendrot.
Und süßen Wein.
Und mich.
 
Katharina Burges – „Stücke meiner Nächte“
© 2020 Grenzton
Texte: Ulla Burges – Text 10, Komposition, Vocals, Klavier, Violine: Katharina Burges
Titel:
1  Schwarz  2  Wandel  3  Lehrjahre  4  Geborgte Zeit (Instrumental)  5  Egoismus  6  Schattenzeit  7  Vergänglich  8  Pietätlos  9  Ent-Deckung  10  Hazar Ertu  11  Und dennoch  12  Suche
Gesamtzeit:  40:38