Fokus Mensch

Pia Zanetti. Fotografin

von Frank Becker

Cover: Pia Zanetti Muynak, Usbekistan, Aralsee 1999 © Pia Zanetti
Fokus Mensch
 
Die Welt mit der Kamera befragen:
Das Lebenswerk der Fotojournalistin Pia Zanetti
 
Ob Kind oder Künstler, ob prominent oder Frau/Herr Jedermann, in Alltag und Freude, Arbeit und Freizeit, Liebe und Schmerz – vor Pia Zanettis Kamera-Objektiv werden alle zur Menschenfamilie. Die Schweizer Fotografin (*1943 in Basel), die als Bildreporterin von den 1960er bis zur Jahrtausendwende die Welt bereist und für Reportagen in Zeitungen und Magazinen wie Die Woche, Das Magazin, Du, die Schweizer Illustrierte, Elle, das Tagesanzeiger-Magazin oder NZZ  das Bildmaterial geliefert hat, sollte eigentlich derzeit mit einer großen Retrospektive der Fotostiftung Schweiz einem großen Publikum präsentiert werden. Wie jegliche Kulturveranstaltung fällt die fertig kuratierte Ausstellung „Pia Zanetti. Fotografin“ (23. Januar bis 24. Mai 2021 geplant) zunächst für die Besucher aus. Der ebenfalls bereits gedruckte hochwertige großformatige Katalog allerdings ermöglicht Fotointeressierten einen schwelgerischen Rundgang durch die Präsentation – vom heimischen Sofa aus.
 
Im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen und von Peter Pfrunder, dem Kurator der Ausstellung herausgegeben, zeigt der Band einen fesselnden Querschnitt durch die Jahrzehnte der weltumspannenden Arbeit Pia Zanettis, bei der sie den Blick auf die Menschen und ihre Lebensbedingungen gerichtet hat. Nicht von ungefähr fällt dem Betrachter des gelungenen Bildbandes Edward Steichens legendäre 1955er Ausstellung „The Family of Man“ für das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) ein, die zum Weltdokumentenerbe erklärt wurde.  
 

Pia Zanetti, NewYork1963 © Pia Zanetti

 
Pia Zanetti, Madrid 1966 © Pia Zanetti

Es sind äußerst intensiv beeindruckende Bilder, die beim Betrachter nachwirken, eine persönliche Verbindung zum abgebildeten Menschen knüpfen. Damit meine ich nicht unbedingt Fotos von bekannten Größen einer privilegierten Minderheit wie Fernandel, Federico Felllini, Max Frisch, Cassius Clay, Bette Davis (wenn deren Foto auch zu den beeindruckendsten Studien zählt), Bernhard Wicki oder Friedrich Dürrenmatt.
Ich meine die Menschen, die Pia Zanetti durch ihre Bilder aus der anonymen Masse heraushebt, zufrieden wirkende Durchschnittsbürger, Alltags- und Arbeitssituationen derer, die einem Tagwerk nachgehen, das sie bescheiden am Leben hält und derer, die sie im schmerzhaft scharfen Kontrast zum mitteleuropäischen oder amerikanischen Wohlstand zeigt, Menschen, die wenig oder nichts haben. Normale Menschen eben. Ihnen durch Pia Zanettis Bilder aus Irland, England, den USA, aus Vietnam und Südafrika, aus Italien, Usbekistan, der Schweiz, Spanien und Mexiko, Laos, Polen oder Nicaragua zu begegnen ist ein Gewinn, der über Länder und Grenzen hinweg verbindet. Vor allem aber machen sie deutlich, wie kostbar die Würde jedes einzelnen ist.
 

Pia Zanetti, London 1967 © Pia Zanetti


Pia Zanetti, Rodeo Chicago 1967 © Pia Zanetti

Aus dem Archiv Zanettis wurden für die Ausstellung 161 Aufnahmen ausgewählt, die mehr als Dokumente sind – charaktervolle Bilder von Begegnungen mit Menschen, die vom Blick in die Gesichter leben und einmal mehr verdeutlichen, wie beim Augenkotakt, bei Studium der Gesichter alles auf eine einzige Erkenntnis zuläuft: Wir Menschen sind alle gleich, wir sind Brüder und Schwestern auf unserem durch unsere Schuld dem Untergang entgegen trudelnden Planeten. In begleitenden Essays zeichnet Nadine Olonetzky Pia Zanettis Werdegang und ihr Schaffen nach, beschäftigt sich Peter Pfrunder mit ihrem charakteristischen Blick und der Wirkung ihrer Bilder. „Eine Würdigung von Leben und Werk einer Fotografin, die mit der Kamera die Solidarität und den Widerstand gegen Unrecht festhielt, aber auch jene glücklichen Momente einfing, in denen Träume wahr werden“, heißt es richtig im Begleittext.


Pia Zanetti, Fischer, Kapstadt 1968 © Pia Zanetti


Pia Zanetti, Bette Davis, Italien 1988 © Pia Zanetti

Die zur Ausstellung erschienene Monografie bei Scheidegger & Spiess und Codax Publisher, herausgegeben von Peter Pfrunder kann im Buchhandel oder über die Fotostiftung Schweiz bezogen werden.
 
Pia Zanetti. Fotografin
(Die Welt mit der Kamera befragen: Das Lebenswerk der Fotojournalistin Pia Zanetti)
23. Januar bis 24. Mai 2021
Herausgegeben von Peter Pfrunder mit Jürg Trösch. Mit Beiträgen von Nadine Olonetzky und Peter Pfrunder - In Zusammenarbeit mit der Fotostiftung Schweiz und Codax Publisher
© 2021 Scheidegger & Spiess, 196 Seiten, Klappenbroschur, 24 x 34 cm, 153 farbige und 200 s/w Abbildungen  -  ISBN 978-3-03942-008-7
48,- € | 49,- sFr
 
Weitere Informationen: www.scheidegger-spiess.ch  -  www.fotostiftung.ch