Der alte Mann (25)

...spricht mit Gott

von Erwin Grosche

Foto © Karl-Heinz Krauskopf 

Der alte Mann spricht mit Gott
 
Der alte Mann ging mit seinem Hund spazieren. Er hatte schlechte Laune, und wenn er nicht schon seit Tagen schlechte Laune gehabt hätte, hätte er sich diese sogar verziehen. Es lag am Wetter. Es war kalt, naß und unberechenbar. Es wurde morgens nicht hell und abends fiel immer noch Regen, der alle Wege in ein Schlammbad verwandelte. Sogar sein Hund schien Kummer zu haben, döste auf seinem Kissen im Flur und konnte durch nichts aufgeheitert werden. Selbst sein Quietscheball lag ungenutzt in der Ecke und nichts quietschte mehr herum. Natürlich hatte das Quietschen ihn immer genervt, aber wenn nichts mehr quietschte, war das auch nichts. Der alte Mann raffte sich auf. So konnte es nicht weitergehen. Er kam auf die Idee, zu den Feldwegen zu gehen, die zu dem Flughafen neben dem Restaurant „Wolke 7“ führten. Hier kam ein guter Wind auf und pfiff einem den Kopf frei, und alles was einem auf dem Herzen lag, wurde klein und unbedeutend. „Gott, wird Zeit, daß du dich mal sehen läßt“, murmelte er verdrossen. „Schenk uns deinen Trost.“ Er hatte gerade den Monte Scherbelino verlassen und sah schon die Wohnwagenanlage, als am Horizont ein Licht auftauchte. Hatte Gott ihn gehört? Er schaute in den Himmel. Nach naßgrauen Tagen zeigte sich wieder die Sonne. Als hätte jemand im Keller Licht gemacht, schwebte ein heller Lichtstrahl durch die graue Wolkendecke. War das ein Zeichen? Der Himmel wurde so aufgerissen, daß man den Engeln beim „Zöpfe machen“ zusehen konnte. Ein Jogger mit Kopfhörern kam ihm entgegen und sang gedankenverloren ein Lied. „Schön ist es auf der Welt zu sein, sagt der Igel zu dem Stachelschwein.“ Hörten heutzutage Jogger beim Joggen Roy-Black-Lieder?  Der kleine Hund lief voraus. Er freute sich, daß kein Nieselregen mehr sein Fell aufweichte und man wieder in aller Ruhe Baum und Busch beschnuppern konnte. Er lief direkt ins Licht, sodaß der alte Mann nur noch seine Umrisse erkennen konnte. Das sah so schön aus, daß der alte Mann seufzte. War das sein eingeforderter Trost? Wollte Gott an das erinnern, was unseren Augen gefiel? Der alte Mann schaute einem vorbeifliegenden Flugzeug zu und winkte. Er wußte gar nicht, ob Piloten zurückwinken durften oder ob das gefährlich war, weil sie deswegen den Steuerknüppel loslassen mußten. Das ganze Leben erschien ihm plötzlich voller Wunder und geheimnisvoll. Er sog die Luft ein. Er war allein und doch Teil des Ganzen. Er schaute zum Himmel und flüsterte: „Danke Gott. Ich fühle dich.“ Sein Hund wartete am Hochsitz, damit er sich nicht verirrte, und lief dann den Krähen hinterher, die sich auf dem Acker zwischen den Stümpfen der Maiskolben, die noch aus dem Boden ragten, eingefunden hatten. Der alte Mann blickte nach oben, wo unweit vom Monte Scherbelino ein Regenbogen auftauchte, der ihm wie ein Orden auf die dunkelblaue Himmelsbrust geheftet worden war. Wer kann sich dem Zauber eines Regenbogens entziehen?  Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Nicht übertreiben“, sagte er zu Gott. „Nicht übertreiben.“ Auf dem Rückweg strahlte er so viel Glück und Zuversicht aus, daß alle lächelten und ihn berühren wollten.  
 
 
 
© 2021 Erwin Grosche