Das Lied vom runden Tisch

von Hanns Dieter Hüsch

© André Polozcek / Archiv Musenblätter
Das Lied vom runden Tisch
 
Den möcht ich sehn
der mir untersagt
mich mit einem Radikalliberalen
an einen runden Tisch zu setzen
den möcht ich sehn
 
wie er festen Schritts auf mich zukommt
die Hände in den Taschen
und dann von oben runter
fließend zu mir sagt:
 
Mit wem sitzt denn du da
Feines Gesox was
Na ja, du warst ja schon immer was Bessres
So täuscht man sich halt
Wechselst mal wieder das Hemd
wie mir scheint
 
Darauf gibts nur eine Antwort:
Quatschkopf
Dieser Radikalliberale hier
ist mein Freund.
 
Den möcht ich sehen
der mir untersagt
mich mit einem Christen
an einen runden Tisch zu setzen
den möcht ich sehen
 
Wie er feinnervig mich beäugt
sich dann bei mir einhakt
ein paar Schritte mich entführt
und dann in seiner
hochgestochnen Suppe rührt
 
Du mit dem
Das halt ich für absurd
Dessen Bier schmeckt doch nach Weihwasser
Und nichts ist bewiesen
Die Kirche ist doch ein alter Hut
Was für alte Leute, wo man betet und greint
 
Darauf gibts nur eine Antwort:
Deine Ansicht
Aber dieser Christ hier
ist mein Freund.
 
Gott, wieviel Jahre wünsch ich mir schon
einen alten großen runden Tisch
an dem alle und die verschiedensten Menschen sitzen
und einer davon ist der Hüsch
 
Den möcht ich sehen
der mir untersagt
mich mit einem Erzdemokraten
an einen runden Tisch zu setzen
den möcht ich sehen
 
Wie er zunächst überlegt
dann aber doch mich anspricht
erst um den heißen Brei geht
dann aber doch zu verstehn gibt
ungeheuer enttäuscht zu verstehn gibt
 
Sie hatten ja schon immer eine Vorliebe
für gewisse Extreme
Schön, aber ich dachte mir, wo Sie jetzt älter
geworden sind
hätte sich das gelegt
Erstaunlich, gerade von Ihnen hätte ich das gemeint
 
Darauf gibts nur eine Antwort:
Sie mögen recht haben
Aber dieser Erzdemokrat hier
ist mein Freund.
 
Den möcht ich sehen
der mir untersagt
mich mit einem Kommunisten
an einen runden Tisch zu setzen
den möcht ich sehen
 
Wie er auf mich zufedert
mir die rechte Hand auf die linke Schulter legt
sich dann langsam herabbeugt
und so richtig weitblickend
und fürsorglich zu mir sagt
 
Muß das sein
Sie können doch auch ihr Bier woanders trinken
Haben Sie doch gar nicht nötig
und außerdem wird sich das sicher rumsprechen
Nicht daß ich stören wollte, ich habs nur gut gemeint
 
Darauf gibts nur eine Antwort:
Vielen Dank
Aber dieser Kommunist hier
ist mein Freund.
 
Gott, wieviel Jahre träume ich schon
den gleichen Traum vom gleichen Stoff
von Bruder und Schwester, Vater und Sohn
und einer davon heißt Schretzmeier
und ein andrer Oberhof
 
Und alle reden und trinken
essen und denken
nach Herzenslust und Gelüsten
mit Ausnahme der Faschisten.
 
Den möcht ich sehen
der mir untersagt
dieses Lied öffentlich vorzutragen
Deshalb singe ich dieses Lied
und wollte das hier mal sagen.
 

Hanns Dieter Hüsch (1977)
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Den möcht´ ich seh´n..." in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung