Verschollen in Kroatien

Jurica Pavicic – „Blut und Wasser“

von Michael Zeller

Verschollen in Kroatien
 
Der kroatische Schriftsteller Jurica Pavicic ist ein Erzähler, der seine Stoffe mit beträchtlicher Handlungsspannung an seine Leser heranzubringen versteht. Damit hat er sich seit seinem Debütroman Die Zeugen(„Nachtbus nach Triest“) mittlerweile auch in Deutschland eine kleine, aber treue Gemeinde erschrieben. Im vergangenen Herbst konnte sie sich erneut von ihm fesseln lassen, mit dem Roman „Blut und Wasser“.
 
Dieses Mal hat Pavicic das gesellschaftliche Panorama Kroatiens in einem Kriminalroman verpackt. Doch auch in diesem Genre bleibt Pavicic seinem literarischen Anliegen treu. Wieder erzählt er ausführlich über die gesellschaftlichen Verhältnisse in seinem Heimatland Kroatien, so wie er sie selbst authentisch miterlebt. 1965 an der Mittelmeerküste geboren, in Split, ist Jurica Pavicic im Kommunismus groß geworden, hat als Soldat an dem Krieg teilgenommen, in dem der Staat Jugoslawien auseinanderbrach. Die Veränderungen, die sich seither in seinem Land ergeben haben und weiter vor sich gehen, hält er immer wieder in spannenden Geschichten fest. Diesem historischen Bogen - vom einstigen Kommunismus bis in die Gegenwart – gilt sein eigentliches erzählerisches Interesse. Und das bedient er wirklich gut. Ohne diese geschichtliche Vertiefung scheint ihm das Erfassen von heute als zu kurzatmig und leichtgewichtig.
 
Der aktuelle Roman „Blut und Wasser“ beginnt im Jahr 1989. In einer Kleinstadt an der kroatischen Adria verschwindet die siebzehnjährige Schülerin Silva. Die Familie, das ganze Dorf fragt sich: Wo ist sie hin? Hat sie, unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Kommunismus, Familie und Land verlassen und treibt sich in der Welt herum? Oder ist sie Opfer eines Verbrechens geworden? Auf beide Spielarten des Verschwindens gibt es Hinweise. Ihnen in allen ihren Verästelungen nachzugehen, macht den Schwerpunkt der äußeren Romanhandlung aus.
Dabei spielt das auseinanderfallende Land Jugoslawien die entscheidende Nebenrolle – oder eher umgekehrt: An einem verloren gegangenen jungen Menschen wird das Schicksal eines ganzen Landes sichtbar, mit zerstörerischen Folgen.
 
Silvas Familie bricht auseinander, die Dorfgemeinschaft, während die Völkerschaften Juogoslawien auf das Brutalste übereinander herfallen, und was nach Kriegsende 1995 noch nicht zerstört ist, macht die kapitalmotivierte Tourismusindustrie aus dem Ausland zielstrebig kaputt.
Wie in seinen früheren Büchern schon ist auch diesmal von Jurica Pavicic wieder viel zu erfahren über das Leben in einer hierzulande eher unvertrauten Region im Südosten unseres Kontinents, obwohl es seit Jahrzehnten von den Europäern als Badestrand für den Sommerurlaub benutzt wird. Dabei gäbe es dort sehr viel mehr zu erleben.
 
Aber dafür haben wir ja die Literatur. Welch ein Glück!
 
Jurica Pavicic – „Blut und Wasser“
Roman, Aus dem Kroatischen von Blanka Stipetic.
© 2020 Verlag Schruf & Stipetic Berlin (Zagreb 2017), 274 Seiten, Klappenbroschur  -  ISBN 978-3-944359-49-6
12,90 €
 
Weitere Informationen: www.schruf-stipetic.de