Das Mädel

von Klabund

Klabund
Das Mädel
 
Sie sind ja rührend unverschämt“, sagte das Mädel - aber sie meinte es nicht ernst.
„Der Mond benimmt sich heute empörend auffällig“, stellte er mit einem melancholischen Blick auf den fahlen Nachthimmel fest. Äcker und Sträucher lagen weißbestaubt von Licht.
Es war eine Lichtstimmung wie an schwülen Sommertagen kurz vor Sonnenaufgang.
Das Mädchen lachte: wie Mädchen in Liebeserregung lachen, girrend, schluchzend.
Drinnen im Haus rief eine Stimme: „Anna.“
     „Ich muß hinein“, sie bot ihm ihre Lippen zum Kusse, „schlafen Sie wohl, Herr Adjunkt.“
Schon war sie um die Ecke verschwunden.
     Er wartete eine Minute, dann trat er vom Haupteingang, von der Dorfstraße her, ins Haus.
In der vorderen Gaststube schimpften, schnupften und soffen ein paar Fuhrknechte und Bauernsöhne ihren Kornfusel.
Er stieß mit dem Fuß die Tür zum Honoratiorenstübel auf. Es war leer. Er setzte sich an einen Tisch.
Der Wirt kam und steckte eine Petroleumlampe an.
„Viel Ehre, der Herr Adjunkt, was darf ich geben?“
„Eine Halbe Rotwein.“
     Er überlegte eine Weile, zögerte, griff schließlich nach dem Portemonnaie und legte ein Zwanzigmarkstück auf den grobgehobelten Holztisch.
Der Wirt brachte Wein, Glas und eine Serviette.
Er deckte eine Ecke des Tisches.
„Herr Wirt!“ Der hatte schon gehen wollen und wandte sich um. „Das gehört Ihnen.“ Er zeigte auf das Goldstück.
„Soll ich wechseln?“ sagte dienstbeflissen der Wirt. Der andere wehrte ah. „Es gehört Ihnen ganz und gar.“
Er horchte nach der vorderen Gaststube. Da lärmten und tobten sie, daß die Scheibe der Zwischentür klirrte.
     „Wenn Ihr mich heute in die Kammer des Mädchens laßt!“ fügte er langsam hinzu. Dann trank er einen Schluck und sah den Wirt erwartungsvoll an. Die Augen des Wirtes liebkosten lüstern den gelben Glanz. „Es ist ja nicht meine Tochter“, flüsterte er unschlüssig.
„Soll ich noch eine Lampe anstecken?“ sagte der Adjunkt, „man kann vielleicht nicht richtig sehen?“
„Gut“, stieß der Wirt die Worte hastig hervor, als könne er sie nicht schnell genug loswerden, „wenn das Mädchen nichts dagegen hat, was geht es mich an?“
Im Vorderzimmer rief man den Wirt. Er holte sich das Geldstück, wie man eine Fliege fängt, verbeugte sich und sagte: „Wünsche wohl zu ruhen, Herr Adjunkt.“
     „Anna“, sagte der Wirt am nächsten Morgen, „komm, gib mir die Hand.“ Sie stand am Faß und spülte Gläser, wischte sich die Hand am Kleide ab und gab sie ihm. Als sie sie zurückzog, sah sie, daß ein Fünfmarkstück in der hohlen Fläche lag.
„Was soll das?“ Verwundert blickte sie zum Wirt herüber.
Er grinste. „Der Herr Adjunkt hat sich mir erkenntlich gezeigt, da, die Hälfte ist für dich.“
Das Geldstück fiel klingend zu Boden. Zu gleicher Zeit flammte ihr Gesicht feuerrot und schneeweiß.
     Am Abend fand man sie am Bettpfosten erhängt.
 

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