Literatur-Tips aus unseren Regalen (3)

Aus den letzten 20 Jahren zusammengestellt

von der Musenblätter-Redaktion

Jean-Honore Fragonard, Leserin
Literatur-Tips aus unseren Regalen (3)
 
Ein weiteres Mal haben wir mit Vergnügen aus unserer Hausbibliothek ein paar Bände für Sie herausgesucht, auf denen zum Teil schon etwas Staub lag, die zu empfehlen sich aber heute, nach fast 20 Jahren noch immer lohnt. Wo nicht mehr bei den Verlagen zu bekommen, findet man sie gewiß noch bei Antiquariats-Portalen.
 
1. Fesselnd vom ersten Brief, den die 10-jährige Inge 1940 an ihren ins Feld ziehenden Vater schreibt, über ihr eigenes Ende 1989 hinaus bis zum Tod ihres späteren Ehemannes Richard 1993, entfalten sich in Gerhard Henschels authentischem Briefroman „Die Liebenden“ das Panorama einer Epoche und die Geschichte einer deutschen Familie. Faszinierende Lektüre, die anrührt und mitnimmt. Hoffmann und Campe, 752 S. geb., 25,90 €.
 
2. Der Niederländer John Vermeulen stellt in seinem biografischen Roman „Der Garten der Lüste“ seinen Landsmannes Hieronymus van Aken, besser bekannt als Hieronymus Bosch vor. In kraftvoller Sprache entwirft er unter dem Titel von Boschs kryptischstem Gemälde ein Bild des Mannes und seines Werks, das ausgangs des 15. Jhdts. mit seiner Malerei Expressionismus und Surrealismus visionär vorweg nahm. Diogenes, 591 S. Ln., 24,90 €.
 
3. David Wagner erzählt Geschichten, die nach Leben riechen, die in spröder Genauigkeit die Dinge beschreiben, wie sie täglich geschehen. Ihm, dem Leser, mir. Geschichten von Liebe und Tod, Alltag und kleinem Schicksal. Gut zu lesen. Gut nachzuempfinden. „Was alles fehlt“ – 12 Geschichten, Piper, 150 S. geb., 15,90 €.
 
4. Horst Bieber ist wieder mit einem exzellenten Krimi da: In „Das graue Loch“ steht KHK Jens Rogge vor der unlösbar erscheinenden Aufgabe, die Identität einer Frau aufzudecken, die ein Jahr zuvor ohne Gedächtnis aufgefunden worden war. Die Beschäftigung mit diesem „Kaspar-Hauser-Fall“ unserer Zeit rückt Rogge und die Unbekannte ins Fadenkreuz deutscher Geheimdienste. grafit Verlag, 307 S, br., 9,40 €.
 
5. Zwei große Exil-Literaten des 20. Jahrhunderts erinnern sich an Streiflichter ihres Lebens. In „Wunder Kinder Zeit“ packt Erich Fried Autobiographisches in Erzählungen (118 S., Ln., 12,90 €), in „Autodafé“ öffnet der Dramatiker George Tabori sein Kabinett praller Familiengeschichte zur nachdenklich-amüsanten Betrachtung (90 S., HLn., 15,50 €). Beide bei Wagenbach.
 
6. John Coltrane ist einer der wegweisenden Saxophonisten des Jazz im 20. Jhdt. – ein vergötterter Neuerer, ein Heiliger. Der Jazzkritiker Ralf Dombrowski beleuchtet das Idol neu und entwirft ein kritisches Portrait des Genies, das keinen Denkmalssockel braucht. Mit seiner Biographie und Discographie „John Coltrane“ legt er ein gültiges Standardwerk vor. Oreos Verlag, 240 S. mit Register u. vielen Abb., geb., 24,80 €.
 
7. Der iranische Journalist und Politologe Mostafa Danesch hat die islamische Welt in den letzten drei Jahrzehnten bereist und intime Kennerschaft über islamische Machtstrukturen und die Grundlagen fundamentalistischen Terrors gewonnen. In seinem Bericht „Wer Allahs Wort mißbraucht“ legt er warnend Hintergründe und erschreckende Wahrheiten offen. Hoffmann und Campe, 318 S., geb., Namensregister, 21,90 €.
 
8. Ein Unterstatement: „Die Leidenschaften eines Bibliothekars“ hat Allen Kurzweil seinen raffinierten Roman einer veritablen Obsession genannt, die mit allen Mitteln moderner Datenerfassung und menschlicher Findigkeit betriebene intelligente Schnitzeljagd des Bibliothekars Alexander Short nach dem verlorenen Inhalt eines Geheimfachs. Spannend, gescheit, witzig. Und voller Überraschungen. Luchterhand, 405 S., geb., 22,50 €.
 
9. Feierabend vor der Zeit macht Laurent Graffs Romanheld Antoine in dem ausgesprochen liebenswerten gleichnamigen Roman eines Aussteigers, der sich mit 35 Jahren in die Behaglichkeit eines Altersheims zurück zieht. Bei aller Kuriosität der Idee ist dem poetischen kleinen Text eine verblüffende Schlüssigkeit eigen. „Feierabend“, Verlag Kunstmann, 98 S., geb., 14,90 €.
 
10. Der große türkische Romancier Yasar Kemal erzählt in seiner jetzt erstmals in deutscher Sprache erscheinenden warmherzigen Erzählung „Der Granatapfelbaum“ von Not und Wanderschaft von arbeitslos gewordenen Landarbeitern – und von der Wende zum Glück durch einen Menschenfreund. Unionsverlag, 124 S., geb., 14,80 €.
 
 
Die Reihe wird fortgesetzt.