König Wiskotten und Werkmeister Hagen

von Rudolf Herzog

Vier Falken Verlag, um 1930
König Wiskotten
und Werkmeister Hagen
 
An der Wupper, neben dem Waschhaus, traf er den grauen Werkmeister. Auch er sah scharf nach dem Nebengrundstück. „Dat hilft nu nicht, Herr Wiskotten, wir müssen et haben. Oder wir können die Vierhundertfünfzigpferdige als alt Eisen verkaufen.“
„Kölsch“, sagte Gustav Wiskotten und trat dich an ihn heran, „ich hab' Sie gesucht wie eine Stecknadel. Ich weiß, Sie lieben die Fabrik, Sie lieben die Wiskottens. Is es nich so?“
Er hatte seinen Arm in den des Alten gelegt.
„Ich gehör' zum Inventar, Herr Gustav."
„Ja. Als ich noch kleiner war und Geschichtenbücher verschlang, da hab' ich bei der Nibelungensage immer für den Hagen geschwärmt. Na, Sie sind ja belesener als ich. Aber bei dem Hagen, dem treuesten Mann seines Königs, der mit der Treue stirbt, da hab' ich als Junge mir immer Sie vorgestellt. Ohne Sie waren wir nicht zu denken.“
Des graubärtigen Mannes Augen leuchteten auf. „Herr Wiskotten, wir verstehen uns. Pflicht gegen Pflicht. Und was wünschen Sie nu?“
„Kölsch, Sie haben hinter dem Ritterhauser Bahnhof einen Garten. Er stößt ans Rangiergeleise.“
„Herr Wiskotten, der liegt zu weit von uns ab. Das wären doppelte Kosten.“
„Für uns! Selbstverständlich! Daran ist nicht zu denken. Aber die Stadt hat deswegen doch bei Ihnen angefragt.“
„Gewiß, und ich hab' geantwortet, daß ich bei einem anständigen Preis verkaufen will.“
„Wissen Sie, was die Stadt damit will?“
Der Werkmeister schüttelt den Kopf. „Kann mir gleich sein, wenn sie gut bezahlen.“
„Die Stadt will ein Geschäft mit der Eisenbahndirektion machen. Oder umgekehrt. Nun?“ Seine Augen triumphierten.
„Ja, daran kann ich nix ändern.“
„Kölsch, Sie müssen mir einen großen Dienst erweisen: Sie müssen mir den Garten sofort auf Handschrift hin verkaufen. Ob ich ihn so hoch bezahlen kann wie die Stadt, wenn man sie schraubt, oder ich ihn an Sie zurückgeben muß und Ihnen den ganzen Handel mit der Stadt inzwischen verdorben hab', das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Es ist hundsgemein von mir, Ihnen so 'nen faulen Vorschlag zu machen, wo Sie nur zuzugreifen brauchen, um eine große Summe festzuhaben. Kölsch, ich würd' mich auch schämen, einem andern wie Ihnen damit zu kommen. Für mich selbst tät' ich's ums Verrecken nicht. Aber für die Fabrik. - Sehen Sie, das ist wie ein Kind, das man in die Welt gesetzt hat und für das man sorgen muß, daß es mannbar wird. Und wenn es uns den letzten blutigen Schweißtropfen ausquetscht. Die Fabrik, Kölsch!“ - Er atmete schwer auf.
„Herr Wiskotten“, sagte der alte Werkmeister, und seine Blicke folgten dem Lauf der arbeitsamen schwarzen Wupper. „Ich versteh' Sie ganz gut. Auch Ihren Plan. Sie wollen was haben, womit Sie die Eisenbahndirektion piesacken können.“ Er schaute seinen jungen Herrn an. „Der Garten steht zu Ihrer Verfügung, das bedurfte keiner Worte. Ich werd' doch die Fabrik nicht im Stich lassen.“
„Aber es entgeht Ihnen vielleicht ein größerer Gewinn.“
„Die Wiskottens haben mich fünfundzwanzig Jahr' nicht verhungern lassen. Im Gegenteil. Für mich und die Anna reicht's doppelt, auch, daß wir dem Ernst genug nach Düsseldorf schicken können.“
„Wie geht's dem Ernst auf der Akademie? Ist er bald ein großer Maler?“
„Er kann mehr als er tut - -“
„Besser als umgekehrt, Herr Kölsch.“
„Damit tröst' ich mich auch. Soll ich Ihnen jetzt die Unterschrift geben?“
„Hagen“, sagte Gustav Wiskotten. Mit dem ihm eignen kalten, wilden Stolz, den auch der Alte hatte. Dann gingen sie in die Werkmeisterstube, und Albert Kölsch bescheinigte Gustav Wiskotten den Kauf des Gartenlandes, anstoßend an das Rangiergleis des Ritterhauser Bahnhofes.

Auszug aus: Rudolf Herzog, Die Wiskottens