Muskeln, Bestien, schöne Frauen

Dian Hanson – „Masterpieces of Fantasy Art“

von Frank Becker

Titel-Illustration: Frank Frazetta, A Princess of Mars, 1970
Muskeln, Bestien, schöne Frauen
 
Eintauchen in eine Welt des Phantastischen,
der Starken und der Schönen
 
Meisterwerke der Fantasy Art
 
 
„Während man die satten Farben, die fremdartigen Landschaften und
idealisierten menschlichen Figuren in sich aufnimmt, meint man fast
zu spüren, wie sich die Blutgefäße im Gehirn weiten.“
Dian Hanson
 
Es war nach vielen durchaus guten Publikationen über Fantasy-Künstler wie Boris Vallejo, Mœbius, H.R. Giger oder Frank Frazetta an der Zeit, das Thema einmal grundsätzlich und umfassend darzustellen. Dian Hanson hat das für den Verlag TASCHEN getan und legt nun mit „Masterpieces of Fantasy Art“ ein in jeder Hinsicht gewaltiges Werk vor. Auf feinsten Papieren gedruckt, aufwendig illustriert und gediegen gebunden liegt ein Foliant auf dem Tisch – bitte, sorgen Sie dafür, daß Ihr Tisch zu Hause groß und stabil genug ist! – der Maßstäbe setzt. Die Geschichte der Fantasy-Zeichnung ist mit diesem ca. 6,8 kg schweren Brocken brillant abgehandelt.
 
Illustrationen zu phantastischen Erzählungen gibt es, seit entsprechende Literatur publiziert wird, also seit Jahrhunderten, um dem staunenden Leser einen bildhaften Eindruck von dem schier Unglaublichen zu vermitteln, das hier berichtet und geschildert wird. Denken wir nur an den flämischen Maler Jan van Eyck, der im 15. Jahrhundert sehr plastisch das Jüngste Gericht mit seinen Höllenqualen dargestellt hat oder sein Zeitgenosse Hieronymus Bosch, dessen „Christus in de Limbus“ Fantasy fürs ausgehende Mittelalter, ja purer Horror ist, und Michelangelos „Die Versuchung des Hl. Antonius“ ist ebenfalls Splatter vom Feinsten.
Werden hier biblische Themen im Sinne der mächtigen Kirche abgehandelt, um die Gläubigen im Zaum und bei der Stange zu halten, widmen sich spätere Jahrhunderte gerne Geschichten aus der antiken Sage, die ja ebenso wenig greifbar ist wie die biblischen Texte, Märchen also, denen man mit freier Hand Gestalt geben konnte. 1592 rettet auf Giuseppe Cesaris Gemälde Perseus Andromeda vor einem schröcklichen Ungeheuer (natürlich ist sie wunderschön und splitterfasernackt). Man liebte das damals wie heute. Das Bild ist wie die anderen genannten im Vorspann des hier vorgestellten Fantasy-Bandes zu sehen. William Blakes „Red Dragon“ 1810 und Gustave Moreaus „Sphinx“ 1864 zeigen schon Elemente der Fantasy-Malerei des 20. Jahrhunderts.
 

Norman Saunders, Marvel Science 1939

Mit dem Aufkommen von sogenannten „Heftchen“ begann eine völlig neue Bildkultur, die sich im Laufe des Jahrhunderts opulent entwickeln sollte. Hannes Bok, René Bull und Frank Brunner gehörten u.v.a. zu den Künstlern, die das Fenster von den USA aus dazu weit aufstießen. Mystery und Weird Tales Magazine, Tarzan, Vampirella und Conan wurden zu den Abenteuer-Charakteren, an denen sich fast alle versuchten, auch einige der später ganz Großen der Fantasy-Zunft. Fantasy Art entwickelte sich zu einer farbenfrohen Mischung aus Mythos und Muskeln, Bestien und Berserkern, Weibern und Weibchen. Von den 1920ern bis in die späten 40er hatten solche Hefte ihre große Zeit. Das Genre wurde in den 1960/70er Jahren wiederbelebt, als „Der Herr der Ringe“ mit einer gelungenen Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm (Frank Frazetta) auf die Kino-Leinwand kam. Conan der Barbar, Red Sonja und andere Schwertkämpferinnen überschwemmten auch deutsche Kioske. Verlage schmückten ihre Hefte und  SF-Taschenbücher mit Titelbildern von u.a. Frank Frazetta, Frank Brunner, Wallace Wood oder Chris Achilleos, Roger Dean und andere gestalteten phantastische Plattencover für Rock- und Metal-Produktionen mit psychedelischen Fantasy-Szenen.
 
 
 Frank Frazetta, Egyptian Queen

Zwölf der Großen des Genres widmet Dian Hanson eigene Kapitel mit ausgewählten Portfolios und beginnt mit Julie Bell und mit Fantasy vom Feinsten: Starke Frauen, immer in dynamischer Bewegung, stehen bei ihr im Zentrum, sind der Nabel der Welt. Männer sind nur das Beiwerk. Es versteht sich, wie auch bei der überwiegenden Zahl der anderen vorgestellten Künstler, daß nackte Haut, schöne Körper und ebenso schöne Gesichter eine wichtige Rolle spielen. Philippe Druillet folgt mit seinem typischen finsteren Stil, neben H.R. Giger ist er der düsterste in dieser Auswahl.
Frank Frazetta gilt wie erwähnt als Monster-Schöpfer und Muskel-Macher als der bekannteste und vermutlich auch der größte Fantasy-Künstler. Seine furchtlosen gewaltigen Berserker, wilden Tiere, wüsten Dämonen und natürlich üppig ausgestatteten oft hilflosen Weibchen mit D-Cups (ohne Cups) gehören zum Kanon der Fantasy Art. Aber er hat auch mal mit Al Capp an dessen Comic Li´l Abner gearbeitet, Harvey Kurtzmans Little Annie Fanny mit gestaltet und etliche Filmplakate entworfen.
Der Schweizer H.R. (Hansruedi) Giger ist unbestritten ein genialer Illustrator, aber so abscheulich pervers, daß ich schnell das nächste Kapitel aufschlage. Das sind die Brothers Hildebrandt, deren bunte Lollipop-Bilder immer wieder Märchen-Bezüge und –Themen aufgreifen. Jeffrey Catherine Jones ist eine sehr interessante Künstlerin, die vielleicht auch wegen ihrer sexuellen Identität mit besonderem Feingefühl ihre Charaktere zeichnet. In einer von Frank Fraztetta und von Gustav Klimts Jugendstil beeinflußten Manier entstehen märchenhafte ästhetische Figuren wie die Nixe auf Seite 298. Rodney Matthews ist in zweiter Profession aktiver Rockmusiker. Seine Drachen und phantastischen Landschaften kann man sich durchaus auf Plattencovern vorstellen.
 
 
 Julie Bell

Unverkennbar ist Mœbius mit seinem surreal „tonlosen“ Comic-Stil. Seine pointilistischen Zeichnungen strömen wie von der Welt isolierte gefährliche Ruhe aus. Rowena Morrill tendiert ein wenig zu süßlichem Kitsch, wenn auch perfekt inszeniert, wähen Sanjulian mit populären kraftvollen Gestalten wie Conan und Vampirella punktet.
Schließlich erscheint auch Boris Vallejo in der Riege der Ausgewählten. Als legitimer Nachfolger des 2010 gestorbenen Frank Frazetta durfte er auch ein Vorwort zu Dian Hansons Buch beisteuern. Er liebt geflügelte Bestien, muskulöse Männer mit mächtigen Bizeps und Sixpacks – und er liebt schöne Frauen mit explizit erotischer Ausstrahlung und perfekten Busen – so wie Frazetta und - siehe oben – fast alle seiner Kollegen und Kolleginnen.
Michael Whelan, der bereits mit 13 Jahren erste Cover für Bücher etc. zeichnete, schafft leicht wirkende Bilder, die Ausdruck romantischer Fantasy sind.
 

Boris Vallejo, Siren Song 1970

Geflügelte Fabelwesen, beinharte Kämpfer gegen das Böse und Bestien, schöne Frauen mit schwellenden Formen und skurrile Landschaften entstanden mit Ölfarbe, Acryl und Airbrush und entführen Betrachter der vor Kampfeslust und Erotik berstenden Bilder sowie die Leser der so illustrierten Geschichten in die Welten ihrer geheimen Träume. Das machen die Fantasy-Illustratoren so erfolgreich, daß aus der wachsenden Zahl hervorragender Künstler sich dank des Zuspruchs von zahllosen Fans weltweit einige besonders populäre Künstler herauszuheben begannen, deren Rang mittlerweile den akademischer Maler eingenommen hat, was die Preise ihrer Arbeit auf dem Kunstmarkt deutlich belegen. So werden Gemälde des Doyen der Fantasy-Malerei, Frank Frazetta, heute für bis zu 5 Millionen Dollar gehandelt, liest man.
 
Informative Biografien zu rund 100 weiteren Künstlern stehen am Schluß des Bandes, von A wie Chris Achilleos bis Z wie Mark Zug. Viele hätten eigene Kapitel verdient, wie Al Williamson, der ähnlich wie einst Hansrudi Wäscher zeichnet, Doug Beekman, Wally (Wallace) Wood, Earl Norman, Simon Bisley oder Greg Staples.
 

Rowena Morrill, Girl with Black Dragon 1989

„Masterpieces of Fantasy Art“ ist das prächtigste Buch zum Thema, das derzeit zu haben ist. Ein Muß für Kenner und Liebhaber, das seinen Preis unbedingt rechtfertigt. Es ist wegen der ausgesuchten Sorgfalt, mit der es gemacht wurde, der hervorragenden Papierwahl, des brillanten Drucks und der den Hauptkapiteln lose vorgehefteten Einzel-Illustrationen unser Buch des Jahres und wird mit unserem höchsten Prädikat, dem Musenkuß mit Sternchen ausgezeichnet.
 
Die Herausgeberin und Autorin Dian Hanson hat von 1976 bis 2001 verschiedene Herrenmagazine produziert, darunter Juggs, Outlaw Biker und Leg Show, bis sie 2001 schließlich Herausgeberin der TASCHEN Sexy Books wurde. Zu ihren mehr als 60 Büchern für TASCHEN gehören u.a. „The Art of Pin-up“, „Pin-Up - A Year In Pictures“, „The History of Girly Magazines“, „The Little Big Book of Breasts“, „The New Erotic Photography“ und „Psychedelic Sex“. Sie lebt in Los Angeles.
 

Ken Kelly, Conan 1991

Dian Hanson – „Masterpieces of Fantasy Art“
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
Mit einem Vorwort von Boris Vallejo
© 2020 TASCHEN Verlag, 528 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, Ganzleineneinband mit Schutzumschlag und Leseband, ca. 30 x 41 cm, 6,8 kg – ISBN: 978-3-8365-7210-1
150,- €
 

Sanjulian, The Sword´s Edge 2010

Weitere Informationen: www.taschen.com