Musik in dunkler Zeit

Albrecht Dümling – „Anpassungsdruck und Selbstbehauptung. Der Schott-Verlag im Dritten Reich“

von Johannes Vesper

Musik in dunkler Zeit
 
Sie gab es bisher nicht: Die Geschichte des berühmten Musik-Verlags Schott in Mainz zur NS-Zeit. Der hatte schon Richard Wagner unterstützt, als er, wie immer pleite, in Biebrich bei Mainz seine Meistersinger-Ouvertüre komponierte. In Festschriften, z.B. der zum 200-jährigen Bestehen des Verlags 1970, waren die 12 Jahre 1933-1945 ausgespart worden. Sein 250jähriges Jubiläum feierte der Verlag jetzt zusammen mit musica reanimata, dem Verein zur Wiederentdeckung NS-verfolgter Komponisten und ihrer Werke, der seit 30 Jahren erfolgreich arbeitet. Anläßlich dieser Jubiläen füllte der Berliner Musikwissenschaftler Dr. Albrecht Dümling die Lücke in der Verlagsgeschichte. Er sichtete dazu bei Einverständnis des Verlags die Verlagskorrespondenz in Berlin, Frankfurt und München, das handschriftliche Verlagstagebuch und den persönlichen Kalender des Verlegers und lieferte mit diesem schmalen Bändchen auch einen wichtigen Beitrag zur Musikgeschichte der NS-Zeit.
 
Deutschnational und als Mitglied von „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ hatte Ludwig Strecker, einer der beiden Verleger, 1933 das Kriegslied aus dem 1. Weltkrieg („Argonnerwald, um Mitternacht…“ ) neu gedichtet und publiziert. Aber der NSDAP waren die beiden Brüder Strecker nie beigetreten, schätzen auch den NS-Antisemitismus nicht. So betrieben sie die Auflösung ihres Mainzer Rotary Clubs, als der die jüdischen Mitglieder ausschloß. Zwar wurde entsprechend den politischen Vorgaben im Verlag bald der Hitler-Gruß eingeführt, aber auch Komponisten jüdischer Herkunft wie Ernst Toch, Wolfgang Korngold und Hans Gal immerhin solange unterstützt, als ihre Werke aufgeführt und verkauft werden konnten. Im Fall Hindemith, damals bekanntester Komponist der jüngeren Generation, schlug sich der Verlag gar eindeutig auf dessen Seite, der trotz altdeutscher Thematik („Mathis der Maler“ als Oper und Sinfonie) und Fürsprache von Wilhelm Furtwängler, der die Sinfonie 1934 auch uraufgeführt hatte, im Endeffekt Deutschland verließ. Als Neutöner angefeindet, „versippt mit einer jüdischen Ehefrau“, von der Reichsmusikkammer unter dem Vorsitz von Richard Strauss nicht unterstützt, wagte keiner seine Werke aufzuführen. Nachdem „die Juden aus der deutschen Kultur ausgeschaltet und die Jugend durch Wehrsport absorbiert worden war“ träumte die Nazi-Kulturbürokratie von Volksopern nach dem Vorbild von „Hänsel und Gretel“ zur Belebung „arteigener deutscher“ Musik. Dabei durften Opern wie Alban Bergs „Wozzeck“, Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ oder Brechts-Weill „Dreigroschenoper“ nicht mehr gespielt werden. Von dem in der NS-Zeit geschätzten Werner Egk und seiner Oper „Zaubergeige“ profitierte der Verlag durchaus, während andere seiner Autoren von der NS-Kulturbürokratie verfolgt wurden. Und unter dem Ausbruch des 2. Weltkriegs hat der Verlag durchaus nicht gelitten. Staatskonforme Märsche und Lieder führten zu einer Hochkonjunktur. Wehrmacht, „Kraft durch Freude“ und später auch die Erweiterung der Absatzmärkte durch die „Germanisierung Großdeutschlands“ mit neuen Bibliotheken und Theatern (47 staatliche Theater von Warschau bis Oslo) bedeuteten einen Rekordumsatz für den Verlag im Krieg. Die Siegesfanfare aus den Präludien von Franz Liszt zu Beginn jeweils der Rundfunk-Sondermeldungen des Oberkommandos der Wehrmacht wurden als Klavierstück vom Schott-Verlag publiziert und sind ein wichtiges Beispiel für den Mißbrauch klassischer Musik durch die NS-Propaganda. Dümlings Darstellung zeigt, daß die Verleger des Schott-Verlags ihre Verantwortung als Pflicht den Künstlern gegenüber denen, die „uns ihr Lebenswerk … anvertrauen“ einerseits verstanden haben aber ihr in Zeiten der Diktatur des „dummen Pöbels“ in Deutschland kaum gerecht werden konnten. Die Diskrepanz zwischen Ökonomie und „Anstand in weiß Gott schwierigen Zeiten“ wird im vorliegenden Werk sehr differenziert und kenntnisreich dargestellt. Zahlreiche Fußnoten und ein umfangreiches Literatur- und Personenverzeichnis sind für den interessierten Leser von erheblichem Wert.
 
Albrecht Dümling – „Anpassungsdruck und Selbstbehauptung. Der Schott-Verlag im Dritten Reich“
Musik & Zeitgeschichte Band 1
© 2020 ConBrio Verlagsgesellschaft, 88 Seiten, broschiert - ISBN 978-3-940768-88-9
19,90€
Weitere Informationen: www.conbrio.de