Schmerzhaft eindringlich

Seweryna Szmaglewska – „Die Frauen von Birkenau“

von Michael Zeller

Die Frauen von Birkenau

Ein schmerzhaft eindringliches Zeitdokument
 
Gerade erst im Frühjahr erschienen, geht das Buch bereits in die dritte Auflage. Sein Titel, „Die Frauen von Birkenau”, verrät den Grund für diese große Lesernachfrage. Das Buch ist ein authentischer Erlebnisbericht aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau des Dritten Reiches. Von 1942 bis 1945 war die Autorin Seweryna Szmaglewska (1916-1992) dort inhaftiert und beschreibt aus eigenem Erleben das erniedrigende System von Entmündigung und völliger Entrechtung des Menschen damals.
Die besondere Leistung der Autorin liegt in der Distanz, die sie zu dem schlimmen Geschehen im Lageralltag einnimmt. Sie sieht stark von sich selbst ab und vermeidet sogar die Ich-Form beim Erzählen, um fast ohne jedes Pathos die Dimension des Ausweglosen für die leidenden Kreaturen auszuloten, die Unsagbarkeit des Grauens. Statt von sich zu sprechen, als Opfer und Leidende, schildert die Verfasserin nur das, was ihr unmittelbar vor Augen und Ohren kommt, fast mit der Objektivität einer Kamera. Vielleicht sind die Beschreibungen gerade deshalb so schmerzhaft eindringlich.
 
Ein weiterer Glücksfall für einen heutigen Leser ist die Tatsache, daß die Autorin ganz aus der Frische des Erlebens schreibt. Im Januar 1945 gelingt ihr die Flucht aus dem Lager, und schon im Februar fängt sie an zu schreiben, unter dem ungeheuren Druck des gerade Erlittenen. Es muß raus aus ihr. Immer noch herrscht Krieg, und die Autorin kommt sich vor wie eine Kriegskorrespondentin, wenn sie vom Morgengrauen bis in die Nacht sich auf der deutschen Schreibmaschine Marke „Torpedo” die Seele frei tippt.  Bereits im Juli kann sie den letzten Satz unter das umfangreiche Manuskripts setzen, und schon Ende des Jahres 1945 liegt das Buch in den polnischen Buchhandlungen vor. Es soll danach in ihrem Land noch 22 Mal aufgelegt werden. In der unmittelbaren Nachkriegszeit findet es sogar als Pflichtlektüre an Schulen Verwendung.

Gleich nach seinem Erscheinen wird Szmaglewskas Lagerbericht vom Internationalen Militärgericht in Nürnberg als Beweismittel im Prozeß gegen die Haupttäter des Dritten Reichs verwendet, und die Autorin wird dort 1946 auch  als Zeugin gehört. 
Nach dem Krieg bleibt Seweryna Szmaglewska der Literatur treu und wird in Polen eine vielgelesene Autorin von Romanen, Erzählungen und Reportagen.
 
Ihr erstes Buch, „Die Frauen von Birkenau”, hatte nicht nur in ihrer Heimat Polen diese starke Wirkung. Seine zehn Übersetzungen bezeugen das Interesse, daß es auch im Ausland gefunden hat. Umso verwunderlicher, daß der Text erst jetzt, 75 Jahre nach dem ersten Erscheinen, ins Deutsche übersetzt worden ist. Die Wege der Verlage sind schon oft erstaunliche …
Marta Kijowska, die sich nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als Buchautorin von polnischen Themen in Deutschland seit vielen Jahren  einen Namen gemacht hat, ist eine ganz vorzügliche Übertragung dieses Textes gelungen. In ihrem Nachwort erfährt man Einzelheiten über das leidvolle Zustandekommen der Niederschrift wie auch über die weiteren Lebensumstände von Seweryna Szmaglewska. 
 
Seweryna Szmaglewska – „Die Frauen von Birkenau“
Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Marta Kijowska
© 2020Schöffling Verlag Frankfurt, 448 Seiten  -  ISBN: 978-3-89561-536-8
28,- €
 
Weitere Informationen: www.schoeffling.de