Roger Loewig – „Noch tönt Gesang unter der zerbrochenen Brücke“

Ausstellung im Zentrum für verfolgte Künste Solingen

von Johannes Vesper

Roger Loewig,Brücke - Foto © Johannes Vesper

Roger Loewig –
„Noch tönt Gesang unter der zerbrochenen Brücke“
 
Ausstellung im Zentrum für verfolgte Künste Solingen
vom 01.10.2020 - 07.02.2021
 
Von Johannes Vesper
 
In Verzeichnissen der DDR-Kunst findet man ihn nicht, obwohl ihn die schlimmen Verhältnisse in der DDR geprägt haben. Er hatte sich nie den Vorgaben des sozialistischen Realismus unterworfen, während die Staatskünstler der DDR-Kunst wie Sitte, Heise, Mattheuer, Tübke und andere sich arrangierten und zu Stars des Internationalen Kunstmarkts avancierten. Mit ihnen kann Roger Loewig nicht verglichen werden. Sein Bildkosmos reicht weit über die DDR hinaus, umfaßt die Katastrophen des 20. Jahrhunderts mit zahllosen Toten der beiden Weltkriege - Giftgas gegen Soldaten, industrielle Menschenvernichtung durch die Nationalsozialisten, Brandbomben auf die Zivilbevölkerung Englands und Deutschlands. Seine zarte Zeichnung „Anfliegender Tod“ zeigt den Bomber bedrohlich über dürrem leerem Feld. Roger Loewig gehört mit seinem Werk in die Tradition von Pieter Bruegel, Francisco de Goya, George Grosz, Otto Dix. Auf dem Kunstmarkt hat er nie eine Rolle gespielt. Aber seine Werke sind in den Kupferstichkabinetten und Museen von Dresden, Berlin, Warschau zu sehen. Als erster deutscher Maler hatte er 1992 eine Einzelausstellung im Lagermuseum Auschwitz.
 
Wer war Roger Loewig? 1930 in Striegau (heute Strzegom Polen) geboren, gelangte er am Kriegsende mit seiner Mutter in die Oberlausitz, wo er sich als Waldarbeiter durchschlug. Seit Anfang der 50er Jahre konnte als Lehrer für Russisch und Deutsch in Berlin arbeiten, begann zu malen und auch zu dichten. 1963 wurde er nach seiner erstem Einzelausstellung in privaten Rahmen wegen „staatsgefährdender Hetze und Propaganda“ verhaftet und saß ein Jahr in MfS-Untersuchungshaft. Unter Vermittlung der Evangelischen Kirche wurde er freigekauft, erhielt drei Jahre auf Bewährung und Berufsverbot als Lehrer. Ein großer Teil seines Werks wurde beschlagnahmt. Später wurde er dank einiger Bürgen in den Verband bildender Künstler der DDR aufgenommen und Freunde konnten einige Ausstellungen außerhalb der DDR organisieren. Nach seinem Ausreiseantrag 1967 verließ er die DDR 1972, ging als Stipendiat an die Villa Massimo in Rom und lebte seitdem in seiner Dachgeschoßwohnung im 13. Stock eines der Hochhäuser am Wilhelmsruher Damm. Über seine mehr als 100 Ausstellungen in der Galerie Baukunst Köln, in Bonn, Berlin, Rochester, Oslo und Hannover, in Warschau, in der Hamburger Kunsthalle und anderswo berichteten die FAZ und Die Zeit. Freunde in Berlin und Westdeutschland trugen zu weiterer Verbreitung seines Werks bei. Auf Vermittlung Herbert Wehners durfte er 1981 alte Freunde in Bad Belzig besuchen, in deren Haus er ab Mitte der 60er Jahre immer wieder gemalt und gedichtet hatte. Heute befindet sich in diesem Haus das Roger-Loewig Museum. Der Kunstkritiker Heinrich Hahne kannte, schätzte ihn und berichtete über ihn in den 70ern.
 

Roger Loewig, „Noch tönt Gesang unter der zerstörten Brücke“ - Foto © Johannes Vesper

Und seine Kunst? Die Ausstellung in Auschwitz hat er den „Millionen zu Tode Gefolterten, Verbrannten, Geschändeten, Zertretnen“ gewidmet und schrieb im Vorwort zum Katalog 1992 weiter: „… und das nicht verloren gehen darf: Die Kenntnis ihrer unendlichen Leiden, ihrer Tapferkeit, ihr Widerstandsgeist, ihr Trotz.“
Roger Loewig hat vor allem gezeichnet. Es gibt nur wenige farbige Ölbilder aus seiner frühen Zeit. Das Bild mit dem Titel der Solinger Ausstellung „Noch tönt Gesang unter der zerstörten Brücke“ (1962, 60x80 cm, Öl auf Hartfaser) gehört dazu. Zwei hohe Brückenbogen in Rot stützen die von links hinter einem Gebäude herkommende hohe Steinbrücke. Sie endet rechts frei, da der 3. Bogen zerstört ist. Oben sieht man ein Auto, welches, führe es wenige Meter weiter, über die hellere Bruchkante des 3. Bogens abstürzen würde. Im dunkelblauen Wasser spiegeln sich helle Wolken des Himmels und der weißliche Mond. Durch die Brückenbogen hindurch sieht man in der Ferne ein Segelboot und rechts am Bildrand helle Hochhäuser. Im Vordergrund rechts stehen 2 Frauen, deren kleinere in einen dunklen Mantel gehüllt, weißhaarig mit großen Augen nach vorne aus dem Bild herausschaut und singt. Die große rothaarige Frau neben ihr versucht bei nacktem Oberkörper mit ihrem Gewand Beine und teilweise Becken zu bedecken. Kopf und Oberkörper spiegeln sich unbestimmt im nächtlich-dunklen Wasser. Auch sie singt. Das Bild weist grundsätzliche Züge Loewigscher Bildgebung auf: Gegenständlich erscheinen Brücke, Auto und Sängerinnen, aber die Situation alles andere als realistisch. Auf anderen Bildern sieht man fantastische entmaterialisierte Skelettgestalten, pflanzlich deformierte Gesichter, mit Leben erfüllte Weiden, deren Äste wie Finger über Ödland im Wind sich bewegen. Man sieht aufgespießte Köpfe, Geschöpfe der Angst, nackte Leiber und Genitalien mehr oder wenig offen dargestellt in karger Landschaft liegen. Obwohl gelegentlich formal an Salvador Dali erinnernd, hat seine Malerei mit dem Surrealismus als Kunstepoche wenig zu tun. Die Hintergründigkeit der Loewigschen Bilder richtet sich auf seine biografische Erfahrung, nach der die surreale Welt der Alpträume und Absurditäten bei Loewig im 20. Jahrhundert Realität geworden sind. Mit feinem, elegantem Strich zeichnete er seine Welt auf ausgespanntem Papier, fast immer mit blassem Sonnenball am Himmel, aus dem sich schwarze Vögel und Flugapparate stürzen.
 
Im Zentrum für verfolgte Künste (Wuppertaler Straße 160, 42563 Solingen) wurde am Donnerstag die Ausstellung „Roger Loewig - Noch tönt Gesang unter der zerbrochenen Brücke“ eröffnet. Zur Eröffnung sprach Karin Schmitt-Promny (stellvertretende Vorsitzende der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbands Rheinland) vor in Coronazeiten vollem Saal.  
Anna Schädlich, Kuratorin, Dr. Johannes Vesper (Roger-Loewig-Gesellschaft), die R.L. noch persönlich kannten, und Jürgen Kaumkötter (Direktor des Zentrums für verfolgte Künste) diskutierten im Podiumsgespräch verschiedene Aspekte von Person und Werk des Künstlers.
 
Die Ausstellung bietet mit mehr als 109 Bildern einen guten Überblick über das Werk dieses wichtigen Künstlers. Zur Einführung in Werk und Ausstellung ist die literarische Biografie Anna Schädlichs: „O Ikarus um Deinen Flug beneid ich Dich“. Roger Loewig -Maler. Zeichner, Dichter und freund“ (2018, Mitteldeutscher Verlag 206 S., 20.-€) im Museumsladen zu erhalten. Darüber hinaus lohnt es sich, den Erzählungen und Gedichten dieses Malerdichters, publiziert bei Hoffmann & Campe, Propyläen, Ullstein und anderswo, nachzuspüren. Lesungen seiner Texte während der Ausstellung werden hiermit angeregt.