Gulliverias Reise nach Liliput

Pia Raap – „Miniatur Affäre“

von Frank Becker


Körperlandschaften mit Augenzwinkern
oder
Gulliverias Reise nach Liliput
 
Die liebevollen Inszenierungen von Pia Raap
 
Da sitzen drei Angler um einen Tümpel, gegenüber mäht jemand Rasen in unebener Landschaft, zwei Radler strampeln sich ab, um einen steilen Hang zu bewältigen und jemand sitzt entspannt auf einer Schaukel. Mönche pilgern bußfertig durch eine hügelige Gegend, zwei Personen betrachten ein gefährliches Tier durch einen Maschendraht-Zaun, jemand macht für einen Antrag im Freien einen Kniefall, und im ersten Schnee auf die Skier zu steigen ist pure Freude.
Alle Welt schwärmt von herrlichen Landschaften, an denen sich das Auge labt und in denen sich Geist und Seele erholen. Man geht spazieren, schwingt sich aufs Rad, treibt Sport, man wandert und besteigt Hügel oder genießt stille Täler, man badet im See, der lächelnd dazu ladet, geht mit der Staffelei hinaus wie einst die Künstler von Barbizon, man probiert sich aus wie die Traber-Truppe – und wenn grad keiner schaut, können zwei sich auch an einem idyllischen Plätzchen lieben. Und wer wüßte nicht schon längst, daß auch das Arbeiten an der frischen Luft viel leichter fällt als im stickigen Büro.


Weg und Steg - © Pia Raap

 

Biker-Rast - © Pia Raap

Wer nun glaubt, diese Szenen seien auch zwangsläufig an Mutter Natur gebunden, irrt sich gewaltig. Es gibt eine Fotografin, die alles, was ich oben aufgelistet habe – und noch viel mehr – mit Liebe und Sorgfalt sowie mit einer guten Portion Humor auf und in einer der hinreißendsten denkbaren Landschaften, nämlich den berückendsten Körperpartien schöner Frauen, auf Bäuchen, Brüsten, Pos und Vulvae inszeniert. Nun gut, es sind von Fall zu Fall auch ein paar attraktive Männer bzw. ihre Phalli beteiligt. Aber, da bin ich mir mit Männern wie Frauen einig, Frauen sind nun mal einfach schöner als Männer, zumal wenn sie über so perfekte Formen verfügen wie Pia Raaps Modelle. Wie die Hamburger Fotografin das macht, will ich Ihnen erzählen und an ein paar ausgesuchten Beispielen zeigen.
 

Das deutsche Malerhandwerk - © Pia Raap


Wintersport - © Pia Raap

Ein soeben im Mitteldeutschen Verlag erschienener Bildband präsentiert unter dem Titel „Miniatur Affäre“ nämlich eine Auswahl aus Pia Raaps fotografischem Werk, genauer: mit Miniatur-Figürchen aus dem Modellbau (1:87) liebevoll inszenierte Szenen in und auf Körperlandschaften, die mit Augenzwinkern und Humor vieles zeigen, was wir alle Tag für Tag tun, aber auch manches was der eine oder die andere gerne mal tun würde. Die Traumlandschaften, die sie geradezu überbordend ideenreich mit unerhörter Detail-Liebe, in höchster Ästhetik und fotografischer Perfektion erschafft, sind eine wie die andere lustvolle Schwelgerei für die Augen. Der Phantasie setzt sie keine Grenzen, und der pikante erotische Kitzel ist dabei durchaus mitgeplant und appetitlich-sinnlich ausgeführt.


Bitte freimachen! - © Pia Raap

 
Rasenpflege - © Pia Raap

Welcher Mann möchte nicht mit dem Radler tauschen, der den Steg zwischen zwei köstlichen Brüsten passiert oder mit den Bikern, die zwischen zwei ebensolchen rasten? Wo ist der Abgrund für eine Seiltänzerin tiefer als in der Mitte zwischen angewinkelten Knien und erhabenem Busen? In welche Tiefen mögen die vier Taucher abtauchen, die sich um einen wassergefüllten Nabel versammelt haben, und kann es ein appetitlicheres Restaurant geben als das gegen Ende des Bandes? Mit Witz hat Pia Raap den Spanner am Zaun zum FKK-Gelände festgehalten, die Zähmung eines Tyrannosaurus rex, den letzten Handgriff am Bauchnabel-Piercing, eine Tatort-Spurensuche und die Zensur. Und daß am Ende eines schönen Tages und Ausflugs zwei sich in einem nächtlichen Park mit Lust die „höchste Freude antun“, wie Carl Zuckmayer sagt - wer wollte es ihnen verdenken? Auch das hat Pia Raap mit Charme in Szene gesetzt, so wie die Filmproduktion auf angemessenem Boden, die Ehrung des Malerhandwerks und – apropos Maler – ironisierend eine Szene wie um 1850 nachgestellt, als die Pariser Maler in die ländliche Umgebung strebten, um ihre Bilder in der Natur zu malen. Eine Putzkolonne hat fürs Großreinemachen mächtig viel Schaum produziert und einer fegt in der Kehrwoche mal ordentlich und offenbar notwendig aus. Die Post verlangt von ihren Kundinnen nicht mehr als immer: Bitte freimachen!
 

Großreinemachen - © Pia Raap


Kehrwoche - © Pia Raap

Daß sie ihren serienmäßigen Modellbaufiguren gelegentlich mit anatomischen oder situativen Variationen in Handarbeit nachhelfen muß versteht sich, erklärt Pia Rapp lachend, denn opulente nackte weibliche Körperformen, Pole-Dancer oder Kopulationen sind nicht unbedingt im Serien-Angebot von Modellbaukästen für H0. Man muß das uneingeschränkt bewundern, sieht man die fertigen Dioramen in Kombination mit den Akten. Ihren Modellen zollt sie Respekt, denn die müssen für die akribisch geplanten Inszenierungen viel Zeit und Geduld mitbringen. Das tun sie, denn es macht auch ihnen Spaß.

Diese besondere Kombination von Akt, Erotik und Spielerei ist eine pikante wie in jeder Hinsicht opulente Reise Gullivers oder besser einer Gulliveria nach Liliput, die so gelungen und zauberhaft ist, daß sie unser Prädikat, den Musenkuß verdient.


Erinnerung an Barbizon - © Pia Raap

 

Das Rendezvous - © Pia Raap

Pia Raap – „Miniatur Affäre“
© 2020 Mitteldeutscher Verlag, 96 Seiten, gebunden, Fadenheftung, 27 x 19 cm - ISBN 978-3-95462-517-8
24,95 €