Des Kaisers neue Kleider

Klaus Ungerer – „Gott Go Home!“

von Frank Becker

Des Kaisers neue Kleider
 
Eine Abrechnung mit der Märchen-Kirche
 

Wozu brauchte man (…) einen Gott in der hessischen oder irgend einer anderen Verfassung? „Gott“ ist eine Nullaussage, ein Kippschalter mit unbekanntem Effekt, eine Bedrohung jeder Berechenbarkeit. Daher unser Vorschlag zur Güte: Da man offensichtlich eine fiktionale Figur als Leitbild für die Hessen benötigt, warum nehmen wir nicht eine, die ganz unstrittig für Güte, Toleranz und Lebensfreude steht? Wenn irgend jemand in einer Landesverfassung stehen sollte, dann Snoopy, der freundliche „Peanuts“-Hund, der niemandem etwas zuleide tut, der den Herrgott mit all seiner patriarchalen Anmaßung einen guten Mann sein läßt, artenübergreifende Freundschaften pflegt und der Tänze aufführt, wenn der Frühling kommt.
(Klaus Ungerer)
 
Gleich dem Deisten und Bibelkritiker Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), in dessen Gesellschaft er seine eigene Kirche-, Bibel- und Konfessionskritik entwickelt und auf den er sich auch beruft, stellt der Schriftsteller und Journalist Klaus Ungerer das Glaubensbuch der christlichen Kirche, die Bibel, auf einen unbestechlichen sachlichen Prüfstand. Er wägt das von Männern zum Machterhalt einer Männergesellschaft erdachte Märchenbuch voller Grausamkeiten und Phantastereien, legt den Finger in die Wunde der biblischen Glaubwürdigkeitsprobleme und verkündet im Ergebnis seiner Untersuchung: „Mene mene tekel u-parsin“ – gewogen und zu unglaubhaft befunden. Er entlarvt das Alte Testament als bösartiges Zeugnis des Hasses gegen jene, die nicht an den Gott glauben wollen, den sich die biblische Männergesellschaft gegeben hat, als Manifest der Unterrückung der Frauen einerseits, andererseits als Terrorinstrument gegen die Gläubigen (wenn du nicht an mich glaubst, drohen Höllenfeuer und grausame Strafen) und als permanenten Aufruf zu Vergewaltigung, Mord und Krieg. Und er entlarvt die Kirche samt ihrem salbungsvollen Personal als verlogen und bigott.
 
       Das Christentum – hier besonders am Beispiel des Katholizismus als stellvertretend für alle monotheistischen Religionen untersucht – kommt in seiner Historie, denkt man nur an die brutale „Missionierung“ eroberter Völker und an die Inquisition, an Religionskriege und Hexenverfolgung dabei denkbar schlecht weg, und die Existenz eines angeblich allgegenwärtigen und allmächtigen Gottes der Christenheit, ob nun als (natürlich männliche) Märchenfigur mit weißem Bart oder merkwürdig zweckmäßig konstruierte Dreieinigkeit von Gottvater, Sohn und Heiligem Geist wird mit Hilfe eben der Bibel als Schimäre entlarvt. Auch der Unfug der „unbefleckten“ Empfängnis Marias (sind alle anderen Frauen, die schwanger werden in den Augen der Kirche „befleckt“?), ihrer spät päpstlich verordneten „Himmelfahrt“ legt Klaus Ungerer bloß. Er läßt sich dabei nicht auf nebulöses Blabla ein, wie es die Kirche selbst mit all ihrem Brimborium und prachtvoll kostümierten Männern pausenlos tut, er wartet mit Fakten und nicht widerlegbaren Argumenten auf. Er entlarvt das Glauben als Kontrollinstrument der Herde von Schafen, die jedoch in der Neuzeit den mächtigen Kirchen in Scharen davonläuft.
       Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Prunk, Pomp und Machtentfaltung in der katholischen Kirche, die sich weltweit als Selbstbedienungsladen für Päderasten erwiesen und unendliches Leid über ihre Schutzbefohlenen gebracht hat. Täter wurden nie bestraft bzw. der weltlichen Justiz ausgeliefert. Diese Sittenstrolche in Soutanen wurden still und leise anderswohin versetzt, wo sie Frischfleisch fanden. Das Beharren auf mit nichts zu rechtfertigenden mittelalterlichen Überbleibseln wie Zölibat und zugleich Schwulenfeindlichkeit sowie dem Stasi-ähnlichen Gehirnwäsche-Instrument der Beichte gehört ebenso dazu. Daß der Staat für die Kirche entgegen der verfassungsgemäßen Trennung von der Kirche dennoch für sie Steuern eintreibt, in Klassenzimmern und Ämtern Kreuze duldet (oder wie jüngst in Bayern sogar vorschreibt) und in Justiz-Verfahren und bei Vereidigungen immer noch die Formel „So wahr mir Gott helfe“ vorsieht, befremdet zutiefst.
 
       Nebenbei: Welche Berechtigung bitte hat übrigens der Katholizismus, auf italienischem Boden einen eigenen Staat mit all seinen Privilegien zu unterhalten – einen Staat von Männern, in dem Frauen allenfalls als Dienerinnen geduldet sind, hinter dessen Mauern Schuld und Verbrechen der Kirche ohne Sühne mit eisernem Schweigen verschwinden? Die grenzenlose Hybris der katholischen Kirche, die sich über den Gesetzen, also gottgleich wähnt, resultiert nicht zuletzt aus dieser angemaßten und ihr zugestandenen weltlichen Macht. Am Ende von Klaus Ungerers Untersuchung jedoch steht die (jede) Kirche nebst ihrer ausgedachten Gottheit da wie der Kaiser in Hans Christian Andersen Märchen: entblößt und ohne Kleider.

       Zitieren wir hier noch mit Klaus Unger einige kirchliche Schriften und Bibelstellen zu Rolle der Frau: „Das Weib ist die Einfallspforte des Teufels“ (Kirchenvater Tertullian), „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, daß die Männer durch sie geboren werden“ (Martin Luther), „Die Weiber sind hauptsächlich dazu bestimmt, die Geilheit der Männer zu befriedigen“ (Johannes Chrysostomos, Kirchenlehrer), „Der wesentliche Wert der Frau liegt in ihrer Gebärfähigkeit und in ihrem hauswirtschaftlichen Nutzen“ (Thomas von Aquin), „Das Weib ist ein minderwertiges Wesen, das von Gott nicht nach seinem Ebenbilde geschaffen wurde. Es entspricht der natürlichen Ordnung, daß die Frauen den Männern dienen“ (Kirchenvater Augustinus), „Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt!“ (Kolosser 3, 18).
„Die Jungs haben doch nur versucht, ein bißchen Ordnung zu schaffen in der verwirrenden Vielfalt der Geschlechter! Irgendeinen Sinn muß es doch geben, daß Gott gleich zwei davon geschaffen hat, und zwar nicht nur bei den Menschen, sondern auch beim Panda, beim Beutelhund und der Bettwanze muß er sich jeweils eine Rippe des Männchens genommen und das Weiblein daraus gemacht haben“, kommentiert Ungerer.
 
       Religion bringt Frieden und Liebe? Friede auf Erden gibt es nur ohne Religion, kann man diese intelligente Abrechnung auf den Punkt bringen. Ein brillantes, faktensicheres, höchst lesens- und empfehlenswertes Buch, das mit allem Recht unser Prädikat, den Musenkuß verdient. Nur eins stört den vorzüglichen Gesamteindruck: die schrecklich geschmacklose Umschlaggestaltung von Buchgut, Berlin.
 
Klaus Ungerer – „Gott Go Home!“
Friede auf Erden gibt es nur ohne Religion
© 2020 Verlag Das Neue Berlin, 188 Seiten, Broschur – ISBN: 978-3-360-01365-1
15,– €

Weitere Informationen: www.eulenspiegel.com