Berlin, dein Gesicht hat Altersspuren…

Wendelin Bottländer – „Bunt und Grau“

von Frank Becker

Berlin, dein Gesicht hat Altersspuren…
 
Blicke durch die Kamera eines westdeutschen Fotografen

Nachgeborene“ werden sich vermutlich nicht im Traum vorstellen können, wie der nun prosperierende Ost-Teil Berlins und seine jetzigen „In-Viertel“ vor der Wiedervereinigung 1990 aussahen. Dabei war Berlin das Lieblingskind der Deutschen Demokratischen Republik, und was es an Mitteln gab, wurde zum Ärger der Provinz in die „Hauptstadt der DDR“ gepumpt. Wie hin- und baufällig der Stolz der SED aber dennoch aussah, wie mangelhaft die Ausstattung war, läßt nur erahnen, außer man hat es gesehen, wie es Anfang der 80er Jahre in Pirna und Magdeburg, Cottbus und Guben (Wilhelm-Pieck-Stadt), Chemitz (Karl-Marx-Stadt) oder Brandenburg ausgesehen hat.
 
Es ist ein Glücksfall, daß der Kölner Fotograf Wendelin Bottländer von 1980 bis 1983 auf mehreren Reisen die damalige Hauptstadt der DDR fotografiert und damit ein einzigartiges Erinnerungsalbum geschaffen hat, ein Album, das man in Abwandlung des Titels eines wunderbaren Chansons von Hildegard Knef „Berlin, dein Gesicht hat Altersspuren“ nennen könnte. Unter dem Titel „Bunt und grau“ ist die phantastische Sammlung unwiederholbarer Bilder und unwiederbringlicher Momente aktuell und zum ersten Mal im Mitteldeutschen Verlag erschienen.
 
Wendelin Bottländer hat nüchtern und unkommentiert den baulichen Ist-Zustand einer mißlungenen Republik im Bild festgehalten, deren Fassaden in ihrem Verfall das gesamte System spiegelte. Sieht man einmal vom legendären – und leider abgerissenen - „Ballast der Republik“ und den gräßlichen Plattenbaufronten ab, die Ihr Pendant durchaus auch im Westen hatten, zeigt sich ein trostloses Bild. Balkone und Häuserfonten, deren zerschossener Putz seit Kriegsende 1945 keine Reparatur erfahren hat, abblätternde Farbe allenthalben, Schaufenster und verblaßte Laden-Beschriftungen, die noch aus den 1930er/40er Jahren stammten, Lifaß-Säulen aus der Kaiserzeit (hoffentlich hat man die nach 1989 nicht geschleift).
Ein paar Aufnahmen von Gütern der Grundversorgung und den Inneinrichtungen von Geschäften und Wohnungen, Verkehrsmitteln sowie Cafés und alltäglichen Straßensituationen wie solche von Wartenden an Haltestellen, Gruppe Jugendlicher und Menschen beim HO-Einkauf runden das Bild.
 

© Wendelin Bottländer


© Wendelin Bottländer


© Wendelin Bottländer

Wohlgemerkt, es ist kein hämischer Blick, sondern die sachliche Bestandaufnahme einer pseudo-sozialistischen Schäbigkeit. Ich habe in den Jahren 1987 und 1988 selber verschiedene Städte in der DDR besucht, eben diese Zustände vorgefunden und in leider nur wenigen Fotos festgehalten. Es ist genauso gewesen, wie es Wendelin Bottländer in seinem Buch zeigt, das hoffentlich eine Fortsetzung finden wird. Ihm gebührt für seine Dokumentation und den Mut, damals viele der Bilder, auch von Grenzanlagen, Kontrollposten, der Mauer von Osten und dem geradezu unheimlichen, beängstigend trostlosen Bahnhof Friedrichstraße zu machen unser Prädikat, der Musenkuß. Ich habe z.B. Hemmungen gehabt, eine Schlange vor einem Gemüseladen zu fotografieren. Gut daß Wendelin Bottländer es getan hat. Eine Empfehlung der Musenblätter.


© Wendelin Bottländer


© Wendelin Bottländer 


© Wendelin Bottländer

Wendelin Bottländer – „Bunt und Grau“
Ost-Berlin 1980 bis 1983
Mit einem Text von Bernd Lindner
© 2020 Mitteldeutscher Verlag, 128 Seiten, gebunden, 16,5 × 24 cm, Farbabbildungen – ISBN: 978-3-96311-193-8
18,- €

Weitere Informationen: www.mitteldeutscherverlag.de