Allein gegen eine skrupellose Staatsmacht

„Seberg“ von Benedict Andrews

von Renate Wagner

Seberg
(USA 2019)

Regie: Benedict Andrews
Mit: Kristen Stewart. Anthony Mackie, Yvan Attal , Jack O’Connell u.a
 
Jean Seberg? Das war doch die, die mit Streichholzfrisur (nur Mia Farrow gelang in „Rosemarys Baby“ haartechnisch Ähnliches) neben Jean-Paul Belmondo und für Claude Chabrol „Außer Atem“ durch Paris wanderte? Ja, genau die. Damit wurde sie berühmt, fraglos ein Teil der Filmgeschichte.
Daß sie davor von dem (ursprünglich österreichischen) Regisseur Otto Preminger „entdeckt“ und als „Heilige Johanna“ auf die Leinwand geschickt wurde, bedeutete im Vergleich dazu wenig, eher schon ihre Teilnahme an der Sagan-Verfilmung „Bonjour Tristesse“. Kaum relevant sind die Filme, die sie danach drehte, manche in der Hauptrolle, in vielen „unter ferner liefen“ – die „Karriere“ kulminierte in dem einen Höhepunkt der Nouvelle Vague, 1959 mit „Außer Atem“ (À bout de souffle).
Und die Schauspielerin Jean Seberg scheint tatsächlich weniger interessant als die Person Jean Seberg, die immerhin in das Fadenkreuz des FBI geriet und als „unangepaßt“ durchs Leben wankte, von ihren Überzeugungen geleitet und in der Folge buchstäblich zu Tode gehetzt.
Sie wirkte so europäisch, so intellektuell, daß man vergessen hat, daß sie ein kleines Mädchen aus der amerikanischen Provinz war (aus Marshalltown, Iowa nämlich). Als sie in den Schlund von Hollywood geworfen wurde, begehrte sie auf wie alle, die mehr im Kopf haben als eine leere Karriere – mit der sie sich allerdings den Rest ihres Lebens abfinden mußte.
Aber das interessiert diesen Film des Australiers Benedict Andrews am wenigsten, wie auch die Ehe von Jean Seberg mit dem Autor Romain Gary (Yvan Attal) ganz am Rande bleibt. (Interessant, vor einiger Zeit gab es ein Biopic über Gary, der ein emigrierter Lette und naturalisierter Franzose war, und auch da spielte Jean Seberg ihrerseits kaum eine Rolle.)
Tatsächlich geht es vor allem darum, wie sie sich – teils aus Faszination für den „Black Panther“-Führer Hakim Jamal (Anthony Mackie), teilweise zweifellos aus ehrlicher Überzeugung für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung engagierte (sie spricht vom „abscheulichen Rassismus“ und meint es).
 
Das irritierte sowohl die Schwarzen (man sieht, wie Angela Davis den Kopf schüttelt und sie als „Touristin“ der Sache bezeichnet) wie vor allem die Weißen – ein populärer Filmstar auf der entschieden falschen Seite? Und sie hat sich und ihren Ruhm (und ihr Geld) mutig in den Dienst der Sache gestellt, wohl wissend, daß sie das ruinierte, was als große „Hollywood-Karriere“ möglich gewesen wäre…
Und nun geht es vor allem darum, wie das FBI des J. Edgar Hoover sie aufs Korn nahm. Und es nach und nach nicht mit der üblichen Bespitzelung bewenden ließ, sondern tatsächlich Pläne entwickelte, Jean Seberg moralisch zugrunde zu richten – wobei man ihren Tod gern in Kauf genommen hätte.
Als Nebenhandlung erlebt man, wie der auf sie angesetzte FBI-Agent Jack (Jack O’Connell) eine Wandlung erlebt, die an den deutschen Film „Das Leben der anderen“ erinnert – daß der Mann, der abgestellt ist, einen Menschen ununterbrochen zu beobachten, diesen nach und nach nicht mehr als verachtenswerten Feind empfindet, sondern persönliche Anteilnahme für ihn aufbringt.
Was Jean Seberg an zweitklassigen Rollen spielte, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, fand sie gräßlich („Was soll ich schon machen? Wieder irgendeinen Western“), und die Hetzjagd auf sie brachte sie an den Rand ihrer Kräfte: Kristen Stewart, die auch eine große optische Ähnlichkeit zur schönen, kühlen Klarheit der Jean Seberg schafft, spielt das langsame Zerrütten einer Persönlichkeit eindrucksvoll. Drohanrufe, die ankündigten, man würde sie zerstören, trieben sie erfolgreich in Verfolgungswahn, und als sie – in zahlreichen Männerbeziehungen, die gar nicht genau ausgeführt werden – ein Kind bekam, das gleich nach der Geburt starb, setzte eine Verfolgungsjagd durch die Presse ein, die mit FBI-Hilfe alle üblen Gerüchte streute.
 
Sie wollte kein Opfer sein und ging doch tragisch (und rätselhaft) zugrunde: Am Ende geht es dem Film darum zu zeigen, daß der Einzelne nicht stärker sein kann als die Staatsmacht, zumal eine so skrupellose. Und man überlegt sich, ob die Sozialen Medien heute Jean Seberg retten oder ihrerseits ruinieren würden?
Sie hatte keine Chance. Und der Film macht das zwar kinogerecht, aber nicht billig klar.
 
Vorschau   
 
Renate Wagner