Glänzende Spielzeiteröffnung der Oper Wuppertal

„Die Zauberflöte“ in einer Inszenierung von Bernd Mottl

von Johannes Vesper

Die Burger Queen der Nacht - Nina Koufochristou - Foto © Jens Grossmann

Glänzende Spielzeiteröffnung der Oper Wuppertal
 
Die Zauberflöte
 
Eine deutsche Oper in zwei Aufzügen von Wolfgang Amadeus Mozart - Libretto von Emanuel Schikaneder - Uraufführung am 30. September 1791 am K. K. Freihaustheater auf der Wieden in Wien - Premiere am Opernhaus Wuppertal am So. 13. September 2020
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln - Dauer ca. 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
 
Musikalische Leitung: George Petrou – Inszenierung: Bernd Mottl - Bühne und Kostüme: Friedrich Eggert – Video: Jörn Hartmann – Dramaturgie: Sina Dotzert – Choreinstudierung: Markus Baisch – Studienleitung: Michael Cook - Musikalische Einstudierung: Koji Ishizaka, William Shaw – Regieassistenz: Lucy Martens, Lotte Zuther – Abendspielleitung: Karin Kotzbauer-Bode, Lotte Zuther - Produktionsleitung, Kostüme und Bühne: Luisa Pahlke – Inspizienz: Lauren Schubbe – Licht: Henning Priemer - Leitung Ton & Video: Thomas Dickmeis - Leitung Maske: Markus Moser.
 
Besetzung: Sarastro: Sebastian Campione (Baß) – Tamino: Sangmin Jeon (Tenor) - Sprecher / 2. Priester / 2. Geharnischter: Timothy Edlin*/ Philipp Kranjc* (Baß) - 1. Priester / 1. Geharnischter: Adam Temple-Smith* (Tenor) - Königin Der Nacht: Nina Koufochristou (Sopran) – Pamina: Ralitsa Ralinova (Sopran) - 1. Dame Palesa Malieloa* / Elena Puszta (Sopran) - 2. Dame Iris Marie Sojer (Mezzospran) - 3. Dame Joslyn Rechter (Mezzosopran) – Papageno: Simon Stricker (Bariton) – Papagena: Anne Martha Schuitemaker (Sopran) – Monostatos: Mark Bowman-Hester (Tenor) - 3 Knaben: Tim Bielfeldt, Hugo Kley, Julian Brandt, Bavo Oliver, Ilias Beckerhoff, Pablo Salti, Maxem Kowalke, David Matthes**
(*Mitglied  des Opernstudio NRW - **Knabensolisten der Wuppertaler Kurrende - Opernchor der Wuppertaler Bühnen, Statisterie der Wuppertaler Bühnen, Sinfonieorchester Wuppertal)
 
Ob die Met in New York in der kommenden Spielzeit überhaupt mal spielt, ist bisher völlig unklar. Die Oper Wuppertal dagegen eröffnete die neue Spielzeit am Sonntag glanzvoll. Immer wieder erstaunt es, wie nach mehr als 200 Jahren die „Zauberflöte“ mit ihren Unwahrscheinlichkeiten und Späßen noch und wieder fasziniert. Und die Aktualität dieses märchenhaften und verwirrenden Streits zwischen Gut und Böse mit dem aufklärerisch-freimaurerischen Zweifel an diesen bleibt ungebrochen. 
 
 
Sarastro (Sebastian Campione) - Foto © Jens Grossmann

Wie jeder Intendant immer auf der Suche nach guten Stücken, konnte Emanuel Schikaneder für sein bekanntes Volkstheater auf der Wieden in Wien Mozart für eine Oper über das Märchen von der Zauberflöte leicht gewinnen.
Die Handlung in Kürze: Die wunderschöne Pamina (Ralitsa Ralinova) wurde auf Befehl der Götter von Sarastro (Sebastian Campione) entführt, um sie vor schlimmen Einflüssen ihrer Mutter, der Königin der Nacht (Nina Koufochristou), zu bewahren. Prinz Tamino (Sangmin Jeon), orientierungslos verirrt, wird gerade noch von drei Damen (Palesa Malieloa / Elena Puszta, Iris Marie Sojer, Joslyn Rechter) auf Veranlassung der Königin gerettet. Sie beauftragt den Prinzen, ihr die Tochter wiederzubringen, stattet ihn mit goldener Zauberflöte und seinen Begleiter Papageno mit silbernem Zauberglockenspiel aus. Der Prinz, durch die Macht ihres Bildes Liebe fühlend und sängerisch hoch motiviert, findet sie, geleitet von drei Genien (Knabensolisten der Wuppertaler Kurrende), im Palast des Entführers und Sonnenpriesters Sarastro, wo sie der schreckliche Monostatos (Mark Bowman-Hester) bewacht und ihr nachstellt. Als Papageno, der spielerisch wie sängerisch glänzende Simon Stricker, in seinem Federkleid vor ihm auftaucht, hält Monostatos ihn für den Leibhaftigen persönlich und sucht das Weite. Von Papageno (Simon Stricker) erfährt Pamina, daß und wie sehr Tamino sie liebt. Der irrt aber erst mal zwischen den Tempeln der Natur, Vernunft und Weisheit umher, bis er, Zauber flötend, Papageno und Pamina endlich findet. Sarastro verzeiht alles, prüft aber den Ehekandidaten doch auf Tauglichkeit. Partnerwahl ist immer schwierig. Tamino schreckt erwartungsgemäß vor nichts zurück und läßt sich, standhaft, duldsam und verschwiegen, von den drei inzwischen intrigant gewordenen Damen auch nicht durcheinanderbringen. Alles kommt trotz rachsüchtiger Königin der Nacht und ihrer Arie und trotz des geilen Monostatos zu einem glücklichen Ende. Selbst Papageno und Papagena (Anne Martha Schuitemaker) finden sich.
 
 
 „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“ - Die drei Damen vom Grill ( Elena Puszta, Joslyn Rechter, Iris Marie Sojer) und Tamino (Sangmin Jeon) - Foto © Jens Grossmann

Was macht Regisseur Bernd Mottl aus diesem Zaubermärchen des 18. Jahrhunderts. Wegen der Epidemie muß im Barmer Opernhaus die große Revue, kaum gekürzt, jedoch mit halbiertem Ensemble (nur 40 statt 80 Mitwirkende auf der Bühne) und auch verkleinertem Orchester aufgeführt werden, wobei bei der Uraufführung 1791 auch nur 35 Musiker im Orchestergraben saßen. Diese „Zauberflöte“ findet nicht in märchenhaftem Zauberwald statt. Noch vor der Ouvertüre desinfizieren zwei Putzfrauen mit großen Schrubbern die leere Bühne. Während der Ouvertüre taucht aus der Tiefe eine große blaue Erdkugel auf, wächst und wächst, bis endlich mit Google Earth auf Europa, auf Deutschland, im Endeffekt auf die Barmer Oper gezoomt wird. Aus deren Eingang stürzen die drei munteren Damen, das Gefolge der Königin der Nacht, finden einen Imbißwagen, schieben ihn vors Rathaus - und die Ouvertüre ist vorbei. Tamino verirrt sich unter der Schwebebahn, die zwar aktuell mal wieder (fast) nicht fährt, aber als Theaterkulisse immerhin zu gebrauchen ist. Die Königin der Nacht erscheint überraschend mit kleinem Blitz und Donner in abgeschabtem Allerweltskostüm, sitzt als Burger Queen an einem Giftfaß, trinkt, raucht und singt blitzsauber wie brillant. Seit Wochen hat Jörn Hartmann, Filmemacher aus Berlin, mit den Sängern und Sängerinnen kleine Filme gedreht. Diese Filme projiziert Friedrich Eggert groß auf das gesamte Bühnenportal und kombiniert sie mit Kostümen und Zitaten aus Schinkels berühmtem Bühnenbild von 1816 mit ägyptischen Säulen. Die riesigen Projektionen, die dagegen nahezu puppenspielerisch kleinen Sängerinnen und Sänger auf der Bühne und deren noch kleinere Schatten auf dem Gaze-Vorhang bieten der Handlung verschiedene aufregende Ebenen. So werden Bundesbahndirektion, Hauptbahnhof und Landgericht mit ihren ehrwürdigen Fassaden zu Tempeln der Weisheit und Vernunft. Filmemacher und Bühnenbildner arbeiten nicht zum ersten Mal mit dem Regisseur zusammen.
 

„In diesen heiligen Hallen“ - Foto © Jens Grossmann

Und die Musik? „Ohne Musik wäre alles nichts“ meinte schon Mozart. Alles was Oper ausmacht, wird hier geboten: einfache Lieder im Volkston, ergreifende Lyrik bei Pamina und Tamino, große Fuge, ernster Adagio-Choral, Priesterchöre, höchste Dramatik (Koloratur-Arie der Königin der Nacht), und anderes mehr. George Petrou, erfahren in Alter Musik, gastierte an den großen Opernhäusern Europas wie z.B. Leipzig oder Lyon oder bei den Salzburger Festspielen und musiziert mit dem Wuppertaler Sinfonieorchester und dem Opernchor den ganzen Abend konzentriert, agil, elastisch, temperament- und schwungvoll, wobei die Chöre, Corona geschuldet, teilweise vom Rang und elektronisch verstärkt aus dem Off der Bühne singen. Sarastro, der sich zähneputzend im Bad seiner Wuppertaler Wohnung auf die Arbeit in der Oper vorbereitet, und Monostatos profitieren stimmlich von dem kleinen Orchester, an dessen zarten Klang (ohne Posaune!) man sich bald gewöhnt. Nicht nur die Stadt, auch das ganze Opernhaus wird dank der Filme in die Handlung mit einbezogen. Wie im Thriller sucht Pamina im Heizungskeller und Treppenhäusern ihre Mutter, die Königin der Nacht, die, endlich auf dem Imbißwagen stehend, ihre berühmte Arie so makellos wie virtuos abliefert. Immer wieder brandet Sonderapplaus auf, vor allem für Papageno, der auf buntem Fahrrad durch die Stadt und über die Bühne radelt oder seinen köstlichen Phantasie-Tukan auf dem Arm liebkost. Sonderapplaus vor allem auch für Paminas ergreifende Arie („Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden“), in der sie ihre Enttäuschung über den sie scheinbar verschmähenden Tamino zu bewältigen versucht. Ein musikalischer Höhepunkt. Wunderbar singen die drei Knabensolisten aus der Wuppertaler Kurrende. Immerhin retten sie Leben, wo sie nur können. Endlich bestehen Pamina, inzwischen in Straßenkleidung, und Tamino im Maul eines riesigen fantastischen Ungeheuers ihre Prüfungen, begleitet von Flöte und leiser Pauke, das Ganze in einem der wenigen echten Adagios der Oper. Zuletzt kommt Papageno mit der auch stimmlich sehr ansprechenden Papagena zusammen. Das Gefolge der Königin der Nacht versinkt unter Theaterdonner in ewiger Nacht. Starker Applaus, Bravi und Bravissimi, zahlreiche Vorhänge für das gesamte Ensemble vom begeisterten, maskierten Publikum im unter Coronabedingungen ausverkauften Haus. Tatsächlich bietet diese frische Zauberflöte in Wuppertal bei geistvoller und witziger Inszenierung Vernunft in schwierigen Zeiten, Tugend, Liebe, Gerechtigkeit und vor allem riesiges Vergnügen.
 

Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen - Ein Höllenquartett mit Elena Puszta, Joslyn Rechter, Iris Marie Sojer und der Königin der Nacht (Nina Koufochristou)
am hellen Tage vor dem Finanzamt Wuppertal-Barmen - Foto © Jörn Hartmann


Die Oper Wuppertal lädt auch Besucher ein, die sie nicht regelmäßig besuchen. „Share Your Opera: Das andere Opernerlebnis. The enhanced experience. La nuova esperienza lirica. Operaya Yeni Bir Bakış“. Ab 26.09. 2020 kann „Die Zauberflöte“ auch anders erlebt werden: Bei „Share Your Opera‹ – Das andere Opernerlebnis“, führen App und Smartphone durch die Oper, erläutern die Handlung, erleichtern das Verständnis des Werkes und in der Pause gibt es sogar ein Freigetränk. Nix wie hin!.
 
Redaktion: Frank Becker

Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de