Ver-Kleist-ert

Kristin Trosits tut der Marquise von O…. Gewalt an

von Frank Becker

v.l.: Konstantin Rickert, Silvia Munzón López, Madeline Martzelos - Foto © Uwe Schinkel

Ver-Kleist-ert
 
Kristin Trosits tut der Marquise von O…. Gewalt an
 
Inszenierung: Kristin Trosits - Bühne & Kostüme: Nina Sievers – Choreografie: Jeremy Curnier – Dramaturgie: Peter Wallgram – Regieassistenz: Johanna Landsberg – Inspizienz: Stefanie Smailes – Produktionsleitung: Peter Wallgram – Foto: Uwe Schinkel
Mit: Silvia Munzón López, Madeline Martzelos, Konstantin Rickert
 
Gute Zeiten – Schlechte Zeiten
 
Wir wissen, daß Heinrich von Kleist sich und seine Seelenfreundin Henriette Vogel am 21. November 1811 am Berliner Kleinen Wannsee erschoß. Einer seiner persönlichen Gründe für den Suizid war das öffentliche Mißverstehen seines Werks. Die aktuelle Inszenierung seiner Erzählung (er nannte sie nie Novelle) „Die Marquise von O….“ im Wuppertaler Schauspiel durch Kristin Trosits wäre 210 Jahre posthum ein weiterer Grund gewesen. Im Verein mit Nina Sieverts, die die Schuld für das Bühnenbild und die Kostüme (ein Rücksturz in die 80er Jahre) zu tragen hat, hat sie Kleist unverzeihliche Gewalt angetan.
 
Die Geschichte: „In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O...., eine Dame von vortrefflichem Ruf und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitung bekannt machen: daß sie, ohne ihr Wissen, in andere Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.“ 
Kleist erzählt Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Geschichte einer Frau, der Übelstes widerfährt: im Krieg während einer Ohnmacht vergewaltigt – und schwanger; von der Familie verstoßen. Allein und unschuldig aus sicher geglaubtem, behütetem Leben ausgeschlossen, schlägt sie einen Weg der Selbstermächtigung fern jeglicher Konventionen ein. 
 
Ist man zunächst noch neugierig geneigt, zu verfolgen, wie sich der auf drei Personen verteilte Vortrag von Auszügen des Original-Textes anläßt und entwickelt, denn es läßt sich gut an – alle drei auf der Bühne, allen voran Konstantin Rickert, tun das ausgezeichnet (Gute Zeiten) – verliert man unter dem Eindruck des sinnfreien Bühnenbildes und der Farbschmaddereien darin (Schlechte Zeiten) sehr bald die Lust. Kleists einerseits ehrpusseliger und andererseits dennoch in Sachen von Frauenrechten höchst revolutionärer Text paßt einfach nicht in einen Kubus aus Plastikplanen, und die Besudelung der Ehre einer Frau kann, ja sollte man anders als durch das Ausgießen von Farbkübeln und Schwangerschaftsgymnastik lösen können.
Dabei hat man für das Vorhaben, das mehr eine theatralische Nacherzählung denn ein Bühnenstück ist, drei Personen aufgeboten, die spürbar mehr zu bieten hatten als die Inszenierung. Konstantin Rickert ist ein Komödiant von Rang, der die ironisierende Intention Trosits´ hervorragend umzusetzen weiß. Silvia Munzón López (ein Glücksfall für das Wuppertaler Schauspiel) ist eine ausdrucksstarke, köperbetonte Mimin, der das Drama im Blut liegt und die es gefühl- und kraftvoll auslebt. Allein diese beiden sind es wert, sich die Inszenierung anzuschauen, denn man erlebt Schauspiel à la bonheur. Madeline Martzelos, neues Ensemble-Mitglied, muß man erst kennenlernen – hier wirkte sie trotz vollem Einsatz noch etwas farblos (wenn man das angesichts der eimerweise verschmierten Farben so sagen darf).
 
Herzblatt
 
In einer der letzten Szenen wird die Suche nach dem ehrlosen Vater des Kindes der O…. mit der TV-Kuppelshow „Herzblatt“ profanisiert, und der Moderator (Rickert) fragt selbstironisch, was das denn mit Kleist zu tun habe. Ich habe mich das während der ganzen Aufführung gefragt.
Der reiche Applaus des corona-reduzierten Publikums - rund 50 Zuschauer waren zugelassen - belohnte die Damen und den Herrn auf der Bühne, denen anzusehen war, daß sie Zweifel in sich trugen.
 
Weitere Informationen und Termine: www.schauspiel-wuppertal.de