„Davon glaube ich kein Wort!“

David Hilbert in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
David Hilbert in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

 
Der Mann des Jahrhunderts (1)
 
Die frühen 1930er Jahre müssen Hilbert Mühe bereitet haben und schwierig für ihn gewesen sein, zum einen, weil der eigenwillige Kurt Gödel zeigen konnte, daß Hilberts Ziel einer vollständig beweisbaren Mathematik unerreichbar bleiben muss, und zum zweiten, weil in Deutschland die Nationalsozialisten die Regierungsmacht übernommen und die jüdischen Wissenschaftler aus Deutschland vertrieben hatten. Da Hilbert fast ausschließlich von jüdischen Mathematikern umgeben war, fand er sich eines Tages ziemlich allein in Göttingen wieder. Als der damalige Erziehungsminister Bernhard Rust zu einem Besuch in die Stadt mit der einst so berühmten Fakultät kam, meinte er Hilbert gegenüber, das Leben in Göttingen sei doch sicher nach den Säuberungen jetzt viel schöner und die Mathematik habe doch nicht unter dem Verschwinden der Juden gelitten. „Jelitten?“, staunte Hilbert, „die Mathematik hat nicht jelitten, es jibt sie gar nicht mehr.“
 
           Zu den bekanntesten Forschern, die Deutschland verlassen mußten, gehörte der seit den Tagen des Ersten Weltkriegs weltberühmte Albert Einstein, den das Magazin Times 1999 zum Mann des Jahrhunderts gewählt hat. Hilbert hatte um 1914 herum an ähnlichen Themen wie Einstein gearbeitet, was deshalb möglich war, weil es bei der allgemeinen Theorie der Relativität, die damals in der Entstehung begriffen war, sowohl auf mathematische Fertigkeiten als auch auf physikalische Intuitionen ankam. Die beiden überragenden Figuren der Wissenschaft haben dann auch im Laufe des Jahres 1915 fast zur gleichen Zeit zwei große Arbeiten zu dem Thema vorgelegt – Hilbert über „Die Grundlagen der Physik“ und Einstein über „Die Feldgleichungen der Gravitation“ –, und wenn es auch offiziell keinen Streit um die Priorität zwischen den beiden Giganten gab, so wundert man sich doch, daß Einstein einen versöhnlichen Brief an Hilbert geschrieben hat und das in Berlin angesiedelte Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte durch einen seiner Direktoren noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts die These verbreiten läßt, Einstein habe die Formeln der Relativitätstheorie nicht von Hilbert übernommen, sondern selbst gefunden. Im November 1915 hat Einstein einem Freund geschrieben, „Die Theorie ist von unvergleichlicher Schönheit, aber nur ein Kollege hat sie wirklich verstanden, und der eine versucht sie auf geschickte Weise zu ´nostrifizieren`“, wobei das letzte Wort vom Duden mit „einbürgern“ übersetzt wird. Demnach meint Einstein, jemand – wer außer Hilbert? – habe seine Theorie der eigenen Arbeit eingebürgert also für das eigene Werk übernommen, aber dieses Thema soll hier nicht weiter verfolgt werden, denn anderen Quellen zufolge soll Hilbert offen und öffentlich anerkannt haben, daß der entscheidende (physikalische) Gedanke von Einstein stammte. Allerdings konnte sich der Königsberger Mathematiker nicht ganz zurückhalten, und so ist von ihm der Satz überliefert: „Jeder Straßenjunge versteht mehr als Einstein von vierdimensionaler Geometrie“, den Hilbert etwas ungläubig durch die Bemerkung ergänzt, „und doch hat er die Arbeit gemacht und nicht die Mathematiker.“
 
 
© Ernst Peter Fischer