Ein gelungener Abend

Chaplins „Moderne Zeiten“ mit Live-Orchesterbegleitung in Wuppertal

von Frank Becker

Foto © Roy Export S.A.S

Moderne Zeiten
Stummfilm mit Livemusik
 
You'll find that life is still worthwhile
If you just... Smile.
 
Zum zweiten Mal nach 2013 machte das Sinfonieorchester Wuppertal die Aufführung von Charlie Chaplins (Teil-)Stummfilm „Moderne Zeiten“ mit Live-Orchesterbegleitung zu einem gefeierten Konzertereignis, zugleich aber auch in Anwesenheit des Oberbürgermeisters Andreas Mucke, des Opernintendanten Berthold Schneider und des Bühnen-Geschäftsführers Dr. Daniel Siekhaus zu einem von der Historischen Stadthalle Wuppertal umsichtig organisierten gesellschaftlichen Glanzpunkt in Zeiten der kulturfeindlichen Corona-Pandemie.
350 Gäste folgten am vergangenen Samstag im Großen Saal der Historischen Stadthalle der Aufführung des restaurierten Films (Timothy Brock) und der von Chaplin komponierten Musik unter der Stabführung von Stefan Geiger – und empfanden es deutlich als Befreiung von erzwungener Isolation.
So wurde Charlie Chaplins 1936 fertiggestellte, unter dem Eindruck der großen amerikanischen Depression, sozialer Not, Arbeitslosigkeit und fortschreitender menschenfeindlicher Automatisierung geschaffene kritische Tragikomödie „Modern Times“ heute wie damals zum Ventil für gesellschaftlichen Druck, wenn auch ganz anderer Art. Das Glück „rauszukommen“ und unter Menschen Film und Orchester erleben zu können, verzauberte neben dem künstlerischen Genuß spürbar die Besucher. Und die üblichen Konzerthuster - ein sonst allgegenwärtiges Phänomen – fehlten fast gänzlich. Es geht anscheinend doch.
 
Unter der bildschnitt-genauen Leitung von Stefan Geiger, einem Spezialisten für Stummfilm-Live-Begleitung, setzte das Sinfonieorchester Wuppertal die Musik Charlie Chaplins (bei deren Niederschrift ihn der damals noch junge David Raksin unterstützt hatte), verzahnt mit den wenigen O-Tönen des Films so getreu um, daß die Stimmungen aus Fabrik und Straßenszenen, Gefängnis und Restaurant, Slapstick und Romantik das Publikum ins Geschehen hineinzog. Vor allem der schroffe Gegensatz zwischen den unmenschlichen Arbeitsbedingungen am Fließband, dem Hunger und der Hoffnungslosigkeit - und der zarten Romanze unseres Helden mit dem heimatlosen Mädchen (Paulette Goddard) ist durch die Musik greifbar. Chaplins wohl berühmtestes Stück, das Thema des Mädchens „Smile (though your heart is aching)“ gelang berührend.
Chaplin beherrschte den schmalen Grat zwischen der Tragik des Individuums in einer automatisierten, industrialisierten Gesellschaft und den mit einem Lächeln oder mit befreiendem Lachen überzuckerten Momenten von Sorglosigkeit und Glück. Elemente von Fritz Langs „Metropolis“ finden sich ebenso wie Griffe in Chaplins eigene Gag-Kiste, denken wir nur an „Goldrausch“ und „The Kid“. Ist einem zu Beginn trotz großartiger Slapstick-Ideen am Fließband so gar nicht zum Lachen zumute, platzt der Knoten spätestens bei Chaplins legendärem Rollschuhlauf im nächtlichen Warenhaus, dem trauten Heim in der Bretterbude und seinem Auftritt als singender, tanzender Kellner und seiner Entenbraten-Jonglage. Am berührendsten bleibt wohl für alle das Schlußbild (oben), das zum ersten Mal in der Geschichte der Chaplin-Filme am Ende den Tramp nicht alleine zeigt - ein unerreichtes Manifest der Hoffnung.
Ein gelungener Abend, für den dem Sinfonieorchester unter Stefan Geiger, der Stadthalle und Charlie Chaplin zu danken ist und dem vom Publikum mit Applaus gedankt wurde, der bei vollem Saal nicht hätte größer sein können.
 
Moderne Zeiten (Modern Times)
Komödie, USA 1936 - restaurierte Fassung von Timothy Brock
Regie: Charlie Chaplin. Buch: Charlie Chaplin. Kamera: Roland H. Totheroh, Ira Morgan, Musik: Charlie Chaplin
Filmphilharmonic Edition - Film mit Genehmigung der Roy Export S.A.S.,  - Musik mit Genehmigung der Bourne Co. Music Publishers
Mit: Charlie Chaplin (Arbeiter Charlie) -  Paulette Goddard (das Mädchen) - Tiny Sandford (Fließbandarbeiter Big Bill) - Chester Conklin (Mechaniker) - Allan Garcia (Chef des Stahlkonzerns) - Richard Alexander (Zellengenosse im Gefängnis)
 
Sinfonieorchester Wuppertal (Leitung: Stefan Geiger)
 
Weitere Informationen zu Terminen des Sinfonieorchesters Wuppertal finden Sie auf der Webseite sinfonieorchester-wuppertal.de