„Davon glaube ich kein Wort!“

David Hilbert in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
„Davon glaube ich kein Wort!“
 
David Hilbert in der Anekdote

 Von Ernst Peter Fischer

 
Nun zu den Geschichten: Die erste handelt von David Hilbert selbst, der in den 1920er Jahren einen Studenten hatte, der sich die Nullstellen der Zeta-Funktion vorgenommen und ein Manuskript eingereicht hatte, in dem er einen Beweis der Riemann Hypothese ankündigte. Hilbert stürzte sich auf die Arbeit, staunte über die Tiefe des Arguments seines Studenten, stieß dann aber doch auf einen Fehler, der sich trotz aller Mühen nicht korrigieren ließ, und so bat er den jungen Mathematiker um einen neuen Versuch. Leider starb der Student im folgenden Jahr, was Hilbert veranlaßte, die Eltern zu bitten, am Sarg des Verstorbenen sprechen zu dürfen. Es regnete heftig, als Hilbert an das Grab trat und sagte, es sei eine Tragödie, daß ein junger Mensch mit solchem Talent so früh diese Welt verlassen habe, vor allem, wo er dem Beweis der Riemann Hypothese ganz nahe gekommen sei. Zwar habe er in seinen Ausführungen einen Fehler gemacht, aber den könne man sicher oder hoffentlich in Zukunft korrigieren, wie Hilbert trotz strömenden Regens und der trauernden Gemeinde jetzt zunehmend enthusiasmiert verkündete, um dann fortzufahren, „Betrachten wir doch einmal eine Funktion mit einer komplexen Variablen …“.
         Eine andere Geschichte erzählt von dem Bruder Harald des bereits erwähnten Physikers Niels Bohr, der als Mathematiker tätig war und viel mit britischen Kollegen zusammen arbeitete. Zu ihnen gehörte der Zahlentheoretiker Godfrey Harold Hardy, der mit einem kleinen Boot von England aus in Richtung Dänemark unterwegs war und mit einem Telegramm seine Ankunft und eine Sensation angekündigt hatte. „I proved Riemann hypothesis. G.H. Hardy“, so lautete die Botschaft, und nun machte man sich Sorgen und fragte sich, ob das Boot auf stürmischer See vielleicht kentern könne. Doch Harald Bohr beruhigte seine Freunde. „Wenn das Boot sinkt und Hardy untergeht, müssen wir alle glauben, daß er die Riemann Hypothese bewiesen hat. Doch Gott wird es nicht zulassen, daß Hardy solch einen Ruhm auf sich laden kann, und die himmlische Macht wird folglich dafür Sorge tragen, daß er hier bei uns ankommt und wir also prüfen können, ob er recht hat“. Hardy schaffte es tatsächlich bis Dänemark, und sein Beweis erwies sich als genau so lückenhaft, wie Bohr es erwartete und prophezeit hatte.
         Und zuletzt kommt der Teufel ins Spiel. Da gab es einen Mathematiker, der sich seit Jahrzehnten an der Frage der Nullstellen abgearbeitet hatte und zuletzt – wie Goethes Faust – bereit ist, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Er läßt ihn zu sich kommen und bietet ihm seine Seele an, wenn er ihm den Beweis für die Hypothese von Riemann liefert. Luzifer lächelt, legt dem Mathematiker ein paar Papiere vor, die er brav unterzeichnet, und schaut den Erdensohn dann etwas verlegen an. „Du fragst mich, ob die Riemann Hypothese wahr ist“, stammelt er erst vorsichtig, um anschließend leiser werdend und höchst verlegen zu ergänzen, „Darf ich dich zunächst fragen, was die Riemann Hypothese überhaupt ist?“
         Nachdem sich der Mathematiker von dem Schock erholt und verwundert die Augen gerieben hat, sagt er zu dem Teufel harsch: „Nimm ganze Zahlen, bilde ihren Kehrwert, berechne ihren Wert mit einem komplexen Exponenten, dessen Realteil größer als 1 ist, addiere das alles und frage dich dann, wann dabei Null herauskommt, wo die Nullstellen liegen und ob sie wirklich alle eine Linie bilden.“ „Ach so“, antwortete der Teufel stirnrunzelnd und ausweichend, „das Problem kannte ich noch gar nicht, aber ich bringe dir seine Lösung in drei Tagen. Wir treffen uns dann wieder hier am selben Ort, und zwar zur Mitternacht.“
         Der Mathematiker knurrte vernehmlich, gab aber trotzdem seine Zustimmung und kehrte pünktlich und hochgespannt zur verabredeten Zeit an den vereinbarten Ort zurück. Um Mitternacht ist der Teufel noch nicht da. Es wird ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr – da endlich rauscht der Teufel herbei, völlig verschwitzt und außer Atem. Er grinst eher hilflos und windet sich noch verlegener als beim letzten Treffen. „Ich bin nicht fertig geworden“, räumt er kleinmütig ein, „das ist wahrlich ein großes Problem, was du mir da aufgegeben hast, aber ich habe hart daran gearbeitet und ein paar kleinere Hilfssätze drum herum bewiesen, die dir vielleicht weiterhelfen können.“
 
 
© Ernst Peter Fischer