Herbstgedanken

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Herbstgedanken
 
Heute stand der Pflaumenkuchen von Hans-Josef Mertensmeyer vor der Haustür. Wie plötzlich der Herbst gekommen ist. „Libori nimmt das Licht“, sagte Herr Weyher immer. Und tatsächlich ist nach Libori die Luft raus aus dem Jahr. Das Korn ist gemäht, die Blumen lassen ihre Köpfe hängen und sogar die Bremsen sind verschwunden. Im Grunde hat sich in der Liboriwoche schon entschieden, ob wir als Großstadt wachsen werden oder nicht. Der Trend geht zum Zweitschlafzimmer. Die Möbelhäuser machen auf, die Erdbeeren machen zu. Erst gestern sagte mir noch eine Frau auf einem Parkplatz in Marienloh, daß ihre Erdbeere abgebaut wird. Da gab es auch in den letzten Tagen nicht mehr viel zu kaufen. Ein paar Brombeeren, ein paar Himbeeren und zwei Schälchen Erdbeeren standen vor ihr. „Wäre es nicht lustig, wenn die Brombeeren Brummbären heißen würden?“, fragte ich die Frau. Sie verdrehte die Augen, was wegen ihres Mundnasenschutzes besonders auffiel. Ich wollte ihr noch sagen, daß es verwirrend ist, wenn man in einer Erdbeere sitzt und Himbeeren verkauft. Man sollte eher in der Frucht sitzen, die man am meisten auf Lager hat. Man findet kein strahlenderes Blau als im Himmelslicht des Herbstes. Wie sehnsüchtig man in die Welt schaut und durch die letzten Hitzetage schwebt. Gestern fand ich ein Flugblatt der SPD in meinem Briefkasten. Sie stellten dort ihren Bürgermeisterkandidaten vor. Ich wußte gar nicht, daß Martin Pantke in Deggendorf/Bayern geboren wurde. Ist Deggendorf nicht bekannt wegen seiner vielen Knödelsorten? Ich saß mal neben ihm im Rathaus und wir waren froh, daß wir bei der Kulturnadelverleihung nicht mittanzen mußten. Alle anderen wurden zum Rednerpult gezogen und mußten sich gehen lassen, nur Martin Pantke und ich blieben verschont. Seitdem halte ich mich gerne in seiner Nähe auf. Ich muß dieses Jahr aufpassen, daß ich im Herbst nicht so traurig werde. Vielleicht sammle ich Kastanien, mit denen ich Giraffen baue, die immer umfallen. Jetzt freue ich mich erstmal auf den Pflaumenkuchen, der mit lieben Grüßen vor meiner Tür stand. Ich glaube, daß wir so alles Unglück überstehen können. Verschenken wir selbstgemachte Marmeladen, Wandbilder aus Herbstblättern und bringen kleine Ständchen. Hans-Josef Mertensmeyer ist mein Vorbild. Ich wundere mich immer, daß dieser großartige Künstler auch noch so einen leckeren Pflaumenkuchen backen kann. Wir würden doch ausflippen, wenn Bäcker Hermisch auch bald eine Kunstausstellung im Stadtmuseum hätte. Aber warum nicht? Nahmen nicht die Windbeutel den verpackten Reichstag von Christo vorweg? „Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los....“ Ach, wie ging das Gedicht nochmal weiter? Es wird Herbst.
 
 
Anmerkungen für Nicht-Paderborner:
a. Libori ist das größte Volksfest in Paderborn.
b. Herr Weyher ist der frühere Besitzer vom Gasthof Weyher.
c. Hans-Josef Mertensmeyer ist ein Künstler aus Paderborn.