Kultivierte, üppige Sinnlichkeit, hohe Musikalität, beredtes Zusammenspiel

Trio Machiavelli - Ravel & Chausson

von Johannes Vesper

Ravel und Chausson
mit dem Trio Machiavelli
 
 „Ich bring ein scharlachrotes Herz - dein Liebster ist im Krieg…“
(Maurice Ravel)
 
Als 16jährige begann sie ihre pianistische Karriere mit dem Philadelphia Orchester unter Wolfgang Sawallisch, hatte Im Alter von 7 Jahren mit dem Klavierspiel begonnen, erhielt Unterricht an der Curtis School of Music , bevor sie 2007 zu Prof. Vardi nach Hannover wechselte. Die Rede ist von Claire Huangci. Sie wurde 2011 Zweite beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD, 2018 gewann sie den Concours Géza Anda in Zürich. Solistisch konzertiert sie mit vielen großen Orchestern, bei den Festspielen Schleswig-Holstein, Gstaad, Rheingau-Festival, Kissinger Sommer, Klavierfestival Ruhr und ist zu Gast in den berühmten Konzertsälen der Welt von Carnegie- bis Suntory Hall. Mit Studienfreunden - Solenne Païdassi (Geige), Tristan Cornut (Cello) - spielt sie seit 2012 als Trio Machiavelli Kammermusik. Dem Philosophen der italienischen Renaissance ging es um kühle Analyse und ausreichendem Diskurs vor Entscheidungen. Hier spiegelt der Name wohl die Intensität künstlerisch-menschlicher Konflikte und natürlich auch musikalisch-emotionaler Auseinandersetzung wider, die bei ernsthaftem gemeinsamem Musizieren unter Freunden den endgültigen musikalischen Ausdruck und seine Authentizität prägen. Jetzt erscheint das 1. Kammermusikalbum des Ensembles mit dem Klaviertrio in a-Moll von Maurice Ravel und dem Klavierquartett A-Dur op. 20 von Ernest Chausson.
 
Mit seinem Klaviertrio - es blieb sein einziges - hatte sich Maurice Ravel schon Jahre beschäftigt, bevor er einige Monate vor Ausbruch des 1. Weltkriegs damit begann. Er komponierte mit der „Sicherheit und Hellsicht eines Verrückten unter dem Klang der Sturmglocken, der weinenden Frauen und dem in Kenntnis des grauenhaften Enthusiasmus der jungen Leute“, wie er in den Tagen des Kriegsausbruchs schrieb. Und das, obwohl er, als untauglich gemustert, nach eigener Bewerbung als Lastwagenfahrer in den Krieg geschickt wurde. Seinen Kriegs-LKW nannte er „Adelaide“!
 
Im Moderato des 1. Satzes trägt zunächst das Klavier das Thema im 8/8 Takt vor, dessen Betonungen phasenweise in 3+2+3 oder 3+3+2 geteilt werden. Dieser Rhythmus kommt auch in der Volksmusik des Baskenlandes vor, aus dem ja seine Mutter stammte. Der 2. Satz ist überschrieben mit „Pantoum. Assez vif“. Pantoum (Pantun) ist eine aus Malaysien stammende Gedichtform, die im 19. Jahrhundert vor allem auch in Frankreich gedichtet worden ist. Bei den vierzeiligen Strophen reimen die 3. auf die 1. und die 4. auf die 2. Außerdem werden die 2. und 4. Zeile jeweils als 1. und 3. in die folgende Strophe übernommen. Diese lyrische Idee wird hier musikalisch vielschichtig, assez vif, lebhaft, mit komplexen und sich überlagernden Rhythmen umgesetzt. Leicht, elegant, klar durchzuhören, scheint sich mit flächigen pianistischen Arpeggien gelegentlich schon das spätere La Valse anzukündigen. Bei dem langsamen 3. Satz (Très large) handelt es sich stilistisch um eine neoklassische Passacaglia, in deren melancholisch-dunkel gefärbten Verlauf sich zwischen cis-moll und fis-moll Intensität und Dynamik entwickeln, bevor in delikater Zweistimmigkeit wieder intimere Seiten anklingen. Der Satz verklingt mit dem Thema in der Tiefe des Flügels. Das Finale („Animé, vifet agité) wird mit schnellem, impressionistischem Flirren eines chromatischen 5-Ton Themas eröffnet. Tremolo, Pizzicati, Glissando, Taktwechsel bis hin zum Dreier und schwierigen rhythmischen Überlagerungen, mit alle dem stürmt der Satz dem Ende entgegen, welches sich mit der Vergrößerung der fast immer gegenwärtigen Chromatik ankündigt. „Große Musik muß aus dem Herzen kommen“ meinte Ravel. Das tut sie bei diesen Interpreten, die brillant, klar, mit Empathie und makelloser Technik alle „Texturen und Schichten“ (Huangci) dieser höchst anspruchsvollen Partitur des 25jährigen Ravel herausgearbeitet haben, dessen anrührendes medizinisches Schicksal da noch in weiter Ferne liegt. Ein wichtiges Stück französischer Kammermusik vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
 
Zum Klavierquartett A-Dur op. 30 (1881) von Ernest Chausson, einem der Gründer französisch-impressionistischer Musik, stößt Adrien Boisseau an der Bratsche dazu. Heiter und beschwingt beginnt es mit einem markanten ta-ta-tatatam Motiv bevor das Cello mit romantisch-melodisch 2. Thema aus der Tiefe aufsteigt. Reiche Melodik, wunderbar melodische Themenfetzen kennzeichnen diese französisch romantische Musik im Gefolge von G. Fauré zwischen C. Franck, Massenet und C. Debussy. Schade, daß der 44jährige Komponist wenige Monate nach diesem letzten großen Werk einen tödlichen Fahrradunfall erlitt. Allein für das herrliche, dunkle Bratschenthema zu Beginn des 2. Satzes hätte er den Rom-Preis verdient, der ihm nie zugesprochen wurde. Der Rechtsanwalt und promovierte Jurist Ernest Chausson war kein Produkt des Pariser Conservatoriums, sondern hat sich erst unter dem Einfluß Richard Wagners bei Reisen nach München und Bayreuth endgültig für die  Musik entschieden. In Chaussons Pariser Salon verkehrten Komponisten wie Paul Dukas und Claude Debussy, suchte man sich doch auch in der Musik nach dem verlorenen Krieg gegen deutsche Dominanz zu sammeln. Im 3. Satz „simple et sans hâte“, eher heiteres Intermezzo als ernsthaftes Scherzo, erinnert das jetzt leichte, eher lyrische Thema rhythmisch an das 1. Thema des 1. Satzes. Mit unruhigen geschwinden Sechzehnteln gegen ein kurzes Dreitonmotiv nimmt der letzte Satz („animé“) schon anfänglich erheblich Fahrt auf. Im Wechsel mit lyrisch-sehnsuchtsvollen Zwischenspielen werden Emotionen musikantisch ausgekostet, bevor sich nach zärtlich hohem Geigensolo noch einmal Nachdenklichkeit verbreitet und in strahlendem D-Dur der Satz zu Ende kommt. Kultivierte, üppige Sinnlichkeit, hohe Musikalität, beredtes Zusammenspiel, Temperament und Energie kennzeichnen diese in allen Stimmen überzeugende Aufnahme. die den „Musenkuß“ verdient.

Anläßlich der Veröffentlichung dieser CD spielt das Trio Macchiavelli am 10.08.2020 das Programm im Reichshof Bayreuth (19:00 Uhr).

Claire Huangci (Klavier) konzertiert mit vielen großen Orchestern, ist zu Gast in den berühmten Konzertsälen der Welt und hat hervorragende Tonträger mit Musik von u.a.Chopin ud Rachmaninov eingespielt. https://clairehuangci.com/de/biographie/
Solenne Païdassi (Geige), derzeit Konzertmeisterin des Belgian National Orchestra wurde zum Wintersemester 2020/21 als Professorin an die Robert-Schumann Hochschule Düsseldorf berufen. https://www.solenne-paidaßi.com/?lang=en
Tristan Cornut (Violoncello), seit 2012 Solocellist der Kammerphilharmonie Bremen, unterrichtet heute an der Musikhochschule Stuttgart. http://tristan-cornut.com/biography_de/
Adrien Boisseeau (Bratsche) studierte bei Tabea Zimmermann und spielt im französischen Streichquartett Quatuor Ébène. https://www.facebook.com/adrienboisseau91/
 
Trio Machiavelli - Ravel & Chausson
Solenne Païdassi (Violine) - Adrian Boisseau (Bratsche) - Tristan Cornut (Cello) - Claire Huangci (Klavier)
© 2020 Südwestrundfunkt / Berlin-Classics / Edel Germany GmbH
Stücke:
Maurice Ravel (1875-1937 ) Klaviertrio in a-Moll 1914 : I Modéré 2. Pantoum. Assez vif 3. Passacaille. Très large. 4. Final.
Animé Ernest Chausson (1855-1899) Klavierquartett in A-Dur op. 30 : 1. Animé 2. Très calme 3. Simple et sans hâte 4. Animé (Fehldruck der Satzbezeichnungen im Beiheft).
Gesamtzeit: 61:01
 
Weitere Informationen: www.berlin-classics-music.com