Ergreifend - Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

„Die schönsten Jahre eines Lebens“ von Claude Lelouch

von Renate Wagner

Die schönsten Jahre eines Lebens
(Les Plus belles années de notre vie - Frankreich 2019)

Drehbuch und Regie: Claude Lelouch
Mit: Anouk Aimée, Jean-Louis Trintignant, Souad Amidou, Antoine Sire, Monica Bellucci u.a.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder. 1966 kamen sie für einen Film zusammen: Jean-Louis Trintignant, damals 36, und Anouk Aimée, damals 34 Jahre alt. Regisseur Claude Lelouche war mit seinen gerade 29 Jahren der Jüngste unter ihnen. Gemeinsam schufen sie einen Film, der eine Legende des französischen Kinos werden sollte – „Ein Mann und eine Frau“, die Geschichte einer Liebe, die nicht halten konnte, weil der Mann zu sehr „Mann“ war und die Frau sich mit seiner Untreue nicht abfinden wollte. Der Film ist unvergessen, wohl bei Jung und Alt – wahre Klassiker haben auch ein junges Publikum.
Wenn sich Menschen dieses Alters treffen, wie damals Aimée. Trintignant und Lelouche, kann man natürlich hoffen, daß man 53 Jahre später noch am Leben sein wird, sicher ist es keinesfalls. Aber sie sind es, alle drei, und sie schufen den Abgesang auf ihre einstige Ode an Jugend und Schönheit und Liebe und Leidenschaft. Sie drehten – Trintignant nun 89, die Aimée unglaubliche 87 und Lelouche, nun 82 – den Abgesang ihrer einstigen Geschichte. Und es war ihnen klar, daß sie damit erzählten, wie es ist, alt, sehr alt zu sein. Schon teilweise an Demenz zu leiden und an mangelnder Beweglichkeit. Aber immer noch zu fühlen…
 
Nun lebt Louis, der einstige Rennfahrer, in einem Luxus-Altenheim in der Normandie, in das ihn sein liebender Sohn Antoine (Antoine Sire) gebracht hat. Auch in einem Dorf der Normandie lebt nun Anne mit ihrer Tochter Francoise (Souad Amidou), einer Tierärztin, und ihrer Enkelin, und sie führt noch selbst einen kleinen Laden. Und da kommt eines Tages die Vergangenheit auf sie zu – der Sohn von Louis bittet sie, den Vater zu besuchen.
Das wird nun keine schwülstige, tränenreiche, peinliche Geschichte – das ist vielmehr mit einer Zartheit und Behutsamkeit erzählt, die ihresgleichen sucht. Alles läuft langsam, unaufgeregt. man hat es nicht mehr eilig. Die noch schier unglaublich schöne Anouk Aimée und der auf wunderbare Art greisenhafte Trintignant (den Michael Haneke ja zuletzt noch zweimal vor die Kamera geholt hat) begegnen einander, aber Anne gibt sich nicht zu erkennen, sie plaudern sich erst wie Fremde langsam in eine geheimnisvolle Vertrautheit hinein, wobei immer möglich ist, daß er sich bei der nächsten Begegnung nicht an die voran gegangene erinnert…
 
Daneben gibt es seine Träume von dieser schönen Anne, die ihn an seine einstige große Liebe erinnert, und es gibt Rückblenden aus dem Film von damals – so jung und schön die beiden. Immer wieder im gnadenlosen Kontrast dazu, was ein halbes Jahrhundert aus einem Menschen macht. Und doch in dem Wissen, daß auch das Alter seine Schönheit hat…
Ein bißchen „Kino“ darf auch sein. Sowohl Louis wie Anne hatten, als man ihnen zum ersten Mal begegnete, je ein siebenjähriges Kind. Nun sind die beiden also an die 60, vom Leben gezaust – und auch sie arbeiten sich mit den Erinnerungen an ihre Kindheit auf einander zu. Und – es sind dieselben Darsteller, die einst die Kinder gespielt haben. Was will man mehr. Happy End. Auch, als eine weitere Tochter, die wunderschöne Monica Bellucci, Louis besucht.
Der Film könnte kitschig sein, doch er umschifft die Klippe. Er ist einfach nur ergreifend. Wobei man jungen Menschen konzedieren will, daß sie dafür (und die langsame, behutsame Erzählweise) nicht das rechte Verständnis aufbringen. Aber sie brauchen nur ein paar Jahrzehnte warten, dann wissen sie, wovon die Rede ist…
 
 
Renate Wagner