Ohne Besetztzeichen

Telefongeschichten - Gelesen von Markus Hoffmann

von Robert Sernatini


Geschichten vom Telefon

Als ich neulich im milden Licht der Abendsonne mit dem Omnibus nach Hause fuhr, erheitert in die Lektüre einer Humoreske von Franz Freiherr von Gaudy vertieft, schrillte unweit von mir, genau genommen in Schlagweite, aus der unförmigen Beuteltasche einer vielleicht aus der Levante, Güneydogu Anadolu oder Trapezunt stammenden Frau ein enervierend lauter tragbarer Kleinstfernsprecher. Der Klingelton heischte im gesamten Bus um Aufmerksamkeit. Die Frau (keine Dame) um die 45 Jahre blaffte erst irgend etwas in einer schwer zuzuordnenden Fremdsprache in den kleinen Apparat, dann mich an, der ich sie ohne ein Wort zu sagen fragend über den Rand meiner Lesebrille anschaute: „Was is? Was kucken Sie misch an? Isch bin nisch die einzige!“ - wohl wissend, daß ihre Benutzung des Telefönchens störend wirkt.
Auf mein freundlich lächelndes „Habe ich etwas gesagt?“ folgte postwendend polternd: „Aber gekuckt. Was kucken Sie? Habben Sie kein Händie?“  - Ich habe tatsächlich keins, bin froh darüber und beschied die sich in Rage blaffende Frau entsprechend. „Sind Sie selber schuld! Isch bin nischt die einzige! Was kucken Sie?!“ bellte sie noch einmal, während sich langsam unter den übrigen Fahrgästen Unmut und Amüsement zu gleichen Teilen breit zu machen begann. An der folgenden Station stieg sie aus. Ich hoffe, sie begegnet mir nie wieder. Oder vielleicht doch, in der Hölle, wo ich die Aufsicht habe und Sie den lieben langen Tag mit einem an ihr Ohr getackerten Mobiltelefönchen herumlaufen muß, das zweimal pro Minute mit 120 Dezibel Wagners Walkürenritt in ihr Ohr und ihren tumben, hohlen Schädel bläst.

Aber das nur am Rande, um zu verdeutlichen, zu was das Telefon und das Telefonieren, einst eine nachrichtentechnische Großtat und kulturelle Errungenschaft, verkommen sind. Viel schönere Telefon-Geschichten finden sich auf einem von Markus Hoffmann gelesenen Hörbuch mit Texten von Kurt Tucholsky und Joachim Ringelnatz, von Walter Benjamin, Eugen Roth, Julius Kreis (über die Neu-Entdeckung dieses Feuilletonisten freue ich mich besonders) und einigen anderen Großen der deutschen Sprache.
Zärtlich, mit federleichtem Jazz unterlegt, beginnt Hans Bötticher, also Ringelnatz mit seinem Gedicht „Telefonischer Ferngruß“. Das ist so liebevoll und angemessen sanft vorgetragen, daß man sich recht wohl dabei fühlt. Ähnlich ergeht es dem Hörer bei den heiteren Beobachtungen, die Julius Kreis durch die Glasscheibe der Telefonzelle gemacht hat. Markus Hoffman ist der ideale Interpret. Ideal auch die eingestreuten kleinen Jazz-Stücke, deren Interpreten uns leider verborgen bleiben. Gerne würde man das eine oder andere mehr von ihnen hören.

Joseph Roth kann die Numer 22202 nicht erreichen und versucht sein Glück persönlich in der Telefonzentrale. Das ist ein Abenteuer beim Amt, in das eigentlich der Eintritt verboten ist. Tucholskys „Sie werden am Apparat verlangt!“ führt ein Büro-Kammerspiel par excellence vor, Wolfgang Hildesheimers Geschichte entlarvt das Telefon auch als nächtlichen Ruhestörer, bei Henry Slesar wird der seit 15 Jahren der von vier Teilnehmerinnen geteilte Anschluß natürlich zum Zentrum eines Krimis, und Franz Josef Herrmanns Anrufbeantworter mit Namen Ralf entwickelt ein bemerkenswertes Eigenleben.
83 (mehr geht nun wirklich nicht auf eine CD) höchst kurzweilige Minuten spendiert dieses akustische Bilderbuch in Gestalt einer alten Wählscheibe mit einem klassischen W 48 auf dem Umschlag und im Beiblatt einem kompakten Abriß der Geschichte des Telefons. Literarisch wie musikalisch brillante Unterhaltung, die ohne Besetztzeichen den Musenkuß verdient.
Setzen Sie sich doch heute, am Weltfernmeldetag, mal ganz gemütlich in den Sessel und schmökern Sie - im Telefonbuch.

Telefongeschichten
Literatur mit Jazz-Intermezzi - Gelesen von Markus Hoffmann
(P) + © 2010 O-Ton-Produktion Berlin - ISBN: 978-3-9810256-9-9

Titel:
Telefonischer Ferngruß (Joachim Ringelnatz) - Hinter der Glasscheibe (Julius Kreis) - Telefon als Waffe (Walter Benjamin) - Die Telefonzentrale (Joseph Roth) - Sie werden am Apparat verlangt! (Kurt Tucholsky) - Nächtliche Ruhestörung (Wolfgang Hildesheimer) - Das tödliche Telefon (Henry Slesar) - Ralf (Franz Josef Hermann) - Das Ferngespräch (Eugen Roth)
Gesamtzeit:  1:22:40

Weitere Informationen unter:
www.o-ton-produktion.de  - 
www.in-akustik.com